Wie fühlt sich ein Krieg an?

Seit über einem Monat herrscht Krieg in der Ukraine.

Täglich erreichen uns in Deutschland Nachrichten über zerstörte Gebäude, Geflüchtete und verstorbene Menschen. Die Schreckensmeldungen reißen einfach nicht ab, sondern ein Loch in die Herzen derer, die sich um ihre Familien, Freunde, Bekannte und das eigene Zuhause sorgen. Besonders die ukrainischen Bürgerinnen und Bürger leiden.

Andererseits ist auch Russland, insbesondere die russische Zivilbevölkerung, von starken Sanktionen und deren Auswirkungen betroffen. Aufgrund der wenigen Informationen, die aus Russland zu uns nach Deutschland bzw. Europa gelangen, wissen wir nur wenig über den Alltag der russischen Bevölkerung. Meist können wir nur erahnen was vor sich geht. Wie erleben die Menschen die aktuelle Lage? Darüber berichtet die Augsburger Studentin Alexandra im heutigen Interview.

Dieser Artikel ist Teil unserer Cross-Media Reihe. Wer noch mehr über die aktuelle Situation in der Ukraine erfahren möchte, kann sich bei KanalC informieren. Dort wird der Krieg aus ukrainischer Sicht beleuchtet.

Ich freue mich sehr, dass du heute Zeit für das Interview gefunden hast. Zum Einstieg wäre es wirklich schön, wenn du etwas über dich erzählen könntest.

Hallo, ich heiße Alexandra. Ich bin 21 Jahre alt, studiere in Augsburg Medien und Kommunikationswissenschaft und stamme ursprünglich aus Moskau. In meiner Freizeit bin ich bei Presstige tätig, fotografiere, singe und zeichne gerne. Ich lebe jetzt seit fast vier Jahren hier in Augsburg. Meine erste Station in Deutschland war Heidelberg. Dort absolvierte ich mein Studienkolleg, damit mein Abitur anerkannt wurde. Danach kam ich nach Augsburg, weil mir die Stadt sehr gut gefiel.

Wie geht es dir momentan?

Eigentlich ist es ganz „okay“. Zurzeit bin ich jedoch extrem mit dem Studium und der Arbeit überfordert. Natürlich überfordert mich aber auch die Situation in der Ukraine.

Wie hast du ganz persönlich diesen Moment erlebt, als du erfuhrst, dass Krieg herrscht?

Zuallererst verstand ich gar nicht was passierte. Für mich war es ein großer Schock. Drei, vier Minuten habe ich überhaupt nicht gesprochen, aber nach einiger Zeit, ungefähr 5 Minuten, fing ich an zu weinen und habe extrem Panik bekommen. Ich habe sehr viele Freunde in der Ukraine, um die ich Angst habe. Ich habe alle kontaktiert, die ich kannte. Auch sie konnten nicht verstehen, was gerade passierte. Ich war so erschüttert, dass ich mehrere Tage Kopfschmerzen bekam und mich wie in einem Paralleluniversum fühlte. Ich konnte einfach nicht glauben, was passiert war. Einige Tage schlief ich deswegen sehr wenig. Mir ging es sehr schlecht und teilweise geht es mir immer noch schlecht, weil ich mich schuldig fühle.

Es geht darum, dass ich Russin bin und Scham gegenüber meinem Land empfinde, weil ich den Krieg nicht unterstütze.

– Alexandra 

Ist deine Familie noch in Russland? Wenn ja, wie gestaltet sich der Kontakt zu ihnen?

Ich bin vor vier Jahren nach Deutschland wegen des Studiums gekommen. Meine Familie ist in Moskau geblieben. Der Kontakt läuft immer über soziale Netzwerke. Sie nutzen kein Facebook oder Instagram, aber wir kommunizieren über Telegram und WhatsApp. Die Grenzen sind zwar nicht geschlossen, aber die Flüge nach Russland gestrichen. Deshalb ist es sehr schwer meine Familie persönlich zu treffen. Vor ein paar Tagen bin ich nach Russland gefahren. Es war mir möglich bis nach Estland zu fliegen und dann mit mehreren Umstiegen in Busse und Züge nach Moskau weiterzureisen, weil ich meine Familie sehen wollte und wichtige Dokumente abholen musste. Die Reise war für mich einfach nur anstrengend.

Wie wird der Krieg innerhalb deiner Familie empfunden?

Natürlich können meine Eltern auch nicht fassen, dass der Krieg stattfindet. Sie verstehen, dass sie nicht am Krieg schuld sind, aber sie fühlen sich sehr schuldig, weil sie Russen sind. Das zieht sie extrem runter und sie leiden psychisch sehr. Sie wollen einfach nur, dass der Krieg vorbei ist und es Frieden gibt. Sie haben den Krieg nicht gewollt.

In den Nachrichten wird darüber berichtet, dass viele Konzerne und Geschäfte in Russland schließen oder von Sanktionen betroffen sind. Wie gestaltete sich aktuell das alltägliche Leben in Russland. Was bekommst du davon mit?

Viele Konzerne schließen, aber das ist nicht wirklich ein Problem. Es ist kein Vergleich zu der Situation in der Ukraine. Die Menschen erleben dort schreckliche Dinge. Natürlich ist aber auch das Alltagsleben in Russland eingeschränkt. Zum Beispiel werden Menschen spontan von Regierungsleuten oder der Polizei kontrolliert, müssen ihre Handys mit allen Inhalten zeigen. Soziale Netzwerke wie Instagram oder Facebook sind gesperrt. Für die Menschen ist es nicht möglich zu demonstrieren. Wenn man zum Beispiel als einzelne Person mit einem Plakat gegen den Krieg auf die Straße geht, kann man sofort ins Gefängnis kommen oder den Job verlieren. Alles ist sehr teuer und die Menschen können sich ohne Beruf das Essen nicht leisten. Wovon sollen sie sich ernähren? Auch die freien Medien wie Zeitungen, Magazine oder Fernsehkanäle sind gesperrt.

Spürt deine Familie die Auswirkungen der Sanktionen?

Meine Familie spürt die Auswirkungen in finanzieller Hinsicht. Der Wert des Rubels ist gesunken, aber die Gehälter bleiben gleich oder werden sogar niedriger. Meine Mutter bekommt ihr Gehalt momentan nicht ausgezahlt. Deshalb unterstütze ich meine Familie finanziell und arbeite viel. Das schlimmste ist aber, dass meine Oma und mein Opa sich keine Medikamente leisten können oder es die Medikamente wegen der Sanktionen einfach nicht gibt. Es wird nichts aus Deutschland oder Europa geliefert. Der Lebensmittelmangel macht sich bemerkbar, denn viele Grundnahrungsmittel wie Zucker, Salz und Reis verschwinden aus den Supermärkten.

Wie gehen deiner Meinung nach die Menschen in Russland mit der Situation um?

Vielen geht es psychisch sehr schlecht. Die meisten haben Freunde, Verwandte oder Bekannte in der Ukraine und sorgen sich Tag und Nacht. Die Menschen trauen sich nicht etwas gegen den Krieg zu sagen, weil sie Angst davor haben im Gefängnis zu landen oder ihren Job zu verlieren. Die die gegen den Krieg sind, sind Menschen aus der Mittelschicht oder Intellektuelle. Die Sanktionen beeinflussen überwiegend das einfache russische Volk und nicht die Menschen die es treffen sollte, wie Regierungsmitglieder oder Oligarchen.

Wie ist das Leben in Deutschland gerade für dich? 

Es ist sehr anstrengend und schwierig, weil sich meine Familie nicht finanzieren kann. Ich lese kaum Nachrichten, damit ich mich nicht noch schlechter fühle. Aber leider sind die Gedanken nicht vermeidbar vor allem, weil ich jeden Tag Menschen aus der Ukraine in der Straßenbahn oder in der Stadt sehe.

Sprichst du mit Freunden in Deutschland über den Krieg?

Ja, wir sprechen darüber und versuchen uns gegenseitig zu unterstützen. Ich habe sowohl deutsche Freunde als auch Freunde aus anderen Nationen. Meine Freunde sind intelligent und möchten den Kontakt zu mir nicht abbrechen, weil ich aus Russland komme. Manchmal ist es jedoch im Alltag sehr schwierig, da wir auf der Straße komisch angesehen werden, wenn wir Russisch sprechen. Viele wissen glaube ich nicht, dass auch viele Leute die aus der Ukraine stammen, Russisch sprechen.

Was wünschst du dir von der deutschen bzw. russischen Regierung?

Von der russischen Regierung wünsche ich mir, dass der Krieg beendet wird und wir in einer Demokratie leben können. Die russischen Menschen verstehen, dass die Demokratie auch für Russland sehr gut wäre. Deshalb leiden wir sehr. Außerdem wünsche ich mir, dass sich die russische Regierung aus den Angelegenheiten anderer Länder heraushält.

Von der deutschen Regierung wünsche ich mir, dass es keine Sanktionen gegen die breite russische Bevölkerung gibt oder gegen Personen aus Russland die hier leben.

Viele verstehen nicht, dass die russischen Menschen nicht einfach demonstrieren gehen können. Viele Gesetzte sind sehr repressiv und deshalb trauen sich die Leute nicht zu aufzustehen. Wer nie in Russland gelebt hat, wird das nie verstehen können. Es wird nur aus der demokratischen, westlichen Sicht auf die russischen Menschen geschaut. Ich würde mir wünschen, dass auch unsere Sicht auf die Dinge gehört werden würde.

Ich träume davon, dass der Krieg zu Ende ist und es Frieden gibt. 

– Alexandra

Vielen Dank für deine Offenheit!

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