Kommentar: Wie weit darf Klimaaktivismus gehen?

In Augsburg gibt es seit dem 1. Juli 2020 das Klimacamp, dass sich friedlich für mehr Klimaschutz einsetzt. Insgesamt campen die Aktivist*innen seit 875 Tagen (Stand 22.11.22) in einem zusammengezimmerten Bretterverschlag vor dem Augsburger Rathaus, doch bisher konnte wenig erreicht werden. Das Klimacamp zeigt, dass einfacher Protest in Form von Demonstrationen bisher wenig bewirkt hat. Die Leute gewöhnen sich an das neue Stadtbild. Es ändert sich wenig. Doch das Werfen von Kartoffelpüree auf Kunstwerke und festgeklebte Aktivist*innen auf Autobahnen rücken das Thema Klimaschutz, dass hinter der Pandemie und dem Ukrainekrieg verschwunden ist, wieder ins Zentrum der politischen Diskussion.

Klimacamp Augsburg Foto: Raya Nouri

In den letzten Tagen und Wochen diskutierte ganz Deutschland über die Frage, wie weit Klimaakitvismus gehen darf. Im Zentrum der Diskussion standen die Aktionen der Aktivistengruppe Letzte Generation, die von sich selbst sagt: „Wir sind die Letzte Generation, die den Kollaps unserer Gesellschaft noch aufhalten kann. Dieser Realität ins Auge blickend, nehmen wir hohe Gebühren, Straftatvorwürfe und Freiheitsentzug unerschrocken hin“ (https://letztegeneration.de/wer-wir-sind/). Seit Januar 2022 blockieren Aktivist*innen Autobahnen in ganz Deutschland, vor allem in Berlin. Ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit gerieten die Aktionen der Aktivist*innen als ein Kunstwerk von Monet mit Kartoffelpüree beworfen und nach einer Straßenblockade eine Radfahrerin gestorben war. Daraufhin stellte sich die Frage, inwiefern die Aktivist*innen für den Tod der Radfahrerin verantwortlich sind. Durch den Stau konnte ein Rettungsfahrzeug der Berliner Feuerwehr nicht zum Unfallort gelangen. Die behandelnde Notärztin kam jedoch zur Einschätzung, dass das Rettungsfahrzeug nicht benötigt wurde. Die Radfahrerin hätte also auch nicht durch den Einsatz des Spezialfahrzeugs gerettet werden können (https://www.deutschlandfunk.de/berichterstattung-ueber-letzte-generation-100.html). Gleichwohl wurden vor allem in sozialen Netzwerken und anderen Medien Schuldzuweisungen ausgesprochen und hitzige Diskussionen losgetreten.

Was darf ein Protest, der die Grenzüberschreitung sucht, und was darf er nicht? Was bringt der unbedingte Kampf um Aufmerksamkeit, wenn das Publikum sich schockiert abwendet?

Ein Kritikpunkt ist, dass die Klimabewegung keinen Rückhalt in der Bevölkerung hat, wenn allein die Protestform, aber nicht die Sache im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Laut einer Umfrage des Spiegels sind 59% der Deutschen der Meinung, dass die Regierung zu wenig gegen den Klimawandel unternehme, 89% unterstützen die Aktionen der Letzten Generation jedoch nicht (https://www.spiegel.de/panorama/klima-protest-der-letzten-generation-wie-weit-darf-aktivismus-gehen-a-2f436c92-626a-49da-9026-fa4ab69b5f8f ).

Die Kritik an der Protestform der Gruppe ist durchaus valide. Andere politische Beteiligungsformen wurden jedoch erfolglos ausgeschöpft. Es sitzt eine grüne Partei im Bundestag, deren zentrales Versprechen an die Bürger*innen mehr Klima- und Umweltschutz ist. Die Fridays for future Demonstrationen haben viele Schüler*innen auf die Straßen getrieben und Kilmaschutz zum zentralen Thema der letzten Bundestagswahl gemacht. Seitdem sitzt auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer in deutschen Talkshows, aber geändert hat sich reichlich wenig. Politischer Protest in jeglicher Form ist an sich etwas demokratieförderndes, denn er ist Bestandteil des demokratischen Zusammenlebens und (re-)politisiert. Aus demokratietheoretischer Sicht kann man argumentieren, dass durch eine Kriminalisierung der radikaleren Formen des Protests die Demokratie entpolitisiert wird. Denn es handelt sich um kollektive Akte des politischen Wiederspruchs, die sich an eine politische Öffentlichkeit richten. Dass dafür die Form des zivilen Ungehorsams gewählt wird, ist nicht unbedeutend. Dadurch können Menschen erreicht werden, die von den anderen demokratischen Beteiligungsangeboten keinen Gebrauch machen. Es können auch Menschen erreicht werden, die sich im öffentlichen Meinungsspektrum nicht repräsentiert fühlen oder an der Lebendigkeit demokratischer Institutionen und Verfahren zweifeln.

Eine andere Form des zivilen Ungehorsams ist das Bewerfen von Kunstwerken mit weichen Lebensmitteln. Die beworfenen Kunstwerke befanden sich alle hinter Glasscheiben und haben bisher keinen Schaden genommen. Doch das von der Aktion aufgenommene Video hat Millionen Menschen erreicht. Die Forderungen der Aktivist*innen wurden gehört und die Menschen haben sich mit dem Verlust der Lebensgrundlage und Hungerskatastrophen in der Zukunft auseinandergesetzt – auch wenn sie die Aktionsform nicht befürworteten. Außerdem wird durch den Aktivismus eine gesellschaftliche Schicht wachgerüttelt, die ein enormes Einflusspotential hat und aus diesem Grund zur Bewältigung des Klimawandels mobilisiert werden muss. Menschen, die über Einfluss, Geld, Verantwortung und Macht verfügen haben einen engen Bezug zu Kunst, da sie entweder die Zeit haben in Museen zu gehen oder sogar die eigene Kunst an Museen verleihen. Durch die Aktionen der Aktivist*innen können sie den Klimawandel nicht länger ignorieren. Darüber hinaus wurde mit Kunstwerken ein Mittel ausgewählt, dass für uns alle eine Bedeutung hat und uns berührt. Kartoffelpüree über einer McDonalds Filiale hätte wohl nicht dieselbe Wirkung erzielt wie Kartoffelpüree auf Monets „Getreideschober“.  Wir wollen weiterhin Kunst bewundern können, doch ist das möglich, wenn wir uns um Nahrung und andere Ressourcen streiten werden? Genau diese Art von Aufrüttelung brauchen wir.

Vor dem Hintergrund eines drohenden Klimanotstands und der politischen Untätigkeit haben die Aktivist*innen der Letzten Generation legitime Mittel ergriffen, um uns aus dem alltäglichen Trott aufzuwecken und uns die Dringlichkeit des Kilmaschutzes auf unangenehme Weise ins Bewusstsein zu rufen. Wenn wir jetzt nicht handeln, kann es in ein paar Jahren zu spät sein, um die Klimakrise aufzuhalten. Da hilft auch Monets „Getreideschrober“ nicht weiter.

2 thoughts on “Kommentar: Wie weit darf Klimaaktivismus gehen?”

  1. Schöner Artikel! Aber wenn du in der Überschrift schon eine Frage stellst (schlechter Stil in meinen Augen, darüber lässt sich streiten) dann solltest du die Frage auch beantworten.

    Wie weit darf Klimaaktivismus denn wirklich gehen? Auf Autobahnen festkleben und Glasscheiben mit Suppe zu bewerfen ist offensichtlich nicht zu weit gegangen. Aber was ist mit “Öko-Terror”? Darf man Pipelines sprengen? Industriebosse entführen? Big Tech sabotieren?

    1. Was wollen die letzte Generation? Das Klima retten, mag ja sein. Aber Vorschläge kommen nicht von denen, die Aktionen kosten nur Steuergelder. Außerdem was nützt es wenn in Deutschland keine Kohle verbrannt wird? Wenn China, USA und viele andere Länder weiter die Umwelt schädigen. Außerdem ist der Begriff Letzte Generation falsch, die nächste wächst bereits heran. Wer sich festklebt und die Regeln nicht einhält ist Kriminell mrin Verständnis haben die Aktionen nicht.

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