Die Augsburger Bundestagsabgeordnete und Grünen-Chefin Claudia Roth im presstige-Interview
Claudia Roth, die Parteivorsitzende der Grünen, ist ein echtes schwäbisches Urgewächs. Geboren in Ulm und aufgewachsen im bayerisch-schwäbischen Krumbach, kam sie über einen kurzen Umweg als Dramaturgin am Theater und Managerin der Band „TON STEINE SCHERBEN” in die Politik. Die Bundestagsabgeordnete des Wahlkreises Augsburg sieht sich selbst als Botschafterin der Mozartstadt, der insbesondere Menschenrechte und Gleichberechtigung sowie kulturelle Vielfalt und künstlerische Freiheit am Herzen liegen. So beschreibt sie sich zumindest in ihrem Internetauftritt.
Von Tamara Bianco, Lieve Langemann und Nicole Reimer
presstige: Alle Welt redet über Klima- und Umweltschutz. Auch die anderen Parteien haben die Bedeutung des Themas erkannt. Bereitet Ihnen das Sorge?
Roth: Ich wäre eine ganz schlechte Grüne, wenn ich sagen würde: „Oh das ist aber schlimm, die nehmen uns das Thema weg.” Das Thema Umwelt ist ja nichts, das parteipolitisch in ein Reservat gesperrt ist. Natürlich muss uns daran gelegen sein, dass es in diesem Gebiet flächendeckend eine gemeinsame Politik gibt. Die letzten Umfragen zeigen aber, dass uns die Wähler trotzdem noch die größte Kompetenz in Sachen Umwelt zuschreiben.
presstige: Was tun Sie persönlich, um CO2 zu vermeiden?
Roth: Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht mehr fliege. Ich halte es nach dem Motto „so wenig wie möglich, so oft wie nötig”. Wir achten auf den Schadstoffausstoß unserer Fahrzeuge. Außerdem zahle ich an „Atmosfair” Abgaben. Das ist eine internationale Initiative, bei der Ausgleichszahlungen für Flüge gezahlt werden. Persönlich versuche ich, meinen Vermieter zu triezen und ich habe ihm bereits angedroht auszuziehen, wenn er meine Wohnung nicht energieeffizienter macht. Im Moment ist es katastrophal. Da könnte ich gleich die Fenster aufmachen und hinaus heizen.
presstige: Und welche Energie-Spartipps können Sie Studenten geben?
Roth: Wir würden die Kapazität von zwei Atomkraftwerken pro Jahr einsparen, wenn wir auf die Standby-Schaltung verzichten würden. Ich will niemandem einen gewissen Lebensstil aufdrängen, aber wenn sich Studierende ein Auto kaufen, sollten sie darauf achten, wie dessen Klimabilanz ist. Der Verbraucher hat sehr viel Macht und wenn die Hersteller merken, dass der Verbraucher diese Macht auch einsetzt, dann ändert sich auch etwas.
presstige: Sie sitzen seit über einem Jahr wieder auf der Oppositionsbank. Was halten Sie bisher für die größte Leistung der Großen Koalition?
Roth: Dass bereits anderthalb Jahre dieser Legislaturperiode vorbei sind. Ich muss sagen, ich kann nicht erkennen, dass diese Große Koalition wirklich eine klare Politik betreibt. Sie steigert die Politikverdrossenheit in unserem Land und hält sich bemerkenswert nicht an das, was sie vor den Wahlen gesagt hat. Es ist Gift vorher zu sagen, mit uns gebe es keine Mehrwertsteuererhöhung und danach kommt sie noch höher als ursprünglich gedacht.
presstige: Erkennen Sie Ihren ehemaligen Koalitionspartner überhaupt noch wieder?
Roth: Es gibt viele Punkte in der Politik, bei denen man erkennt, wo der grüne Anteil an den sieben Jahren rot-grün war, wie Erneuerbare-Energie-Förderung, Atomausstieg, Reform des Staatsangehörigkeitsrechts. Nun vermisst man die Perspektiven, die die Grünen vertreten: Sei es beim Bleiberecht, der Gesundheits- oder der Föderalismusreform. Bei der SPD frage ich mich, wo eigentlich das Soziale hingekommen ist.
presstige: Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, wer wäre der Traumpartner für die Grünen?
Roth: Das ist eine schwierige Frage. Traumpartner gibt es gar keine bei Koalitionen. Programmatisch steht uns die SPD näher, die aber ganz klar wieder in eine sozialere, ökologischere und modernere Richtung gehen müsste.
presstige: Wenn Sie an Ihren Wahlkreis Augsburg denken, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn?
Roth: Ich bin auf viele Dinge, die hier in Augsburg passieren, richtig stolz. Dazu zählt zum Beispiel, dass es in dieser Stadt ein hohes Bewusstsein über kulturellen Reichtum gibt. Ich bin ein großer Fan der Puppenkiste und Jim Knopf. Über ganz Europa bekannt geworden ist das sensationelle Brecht-Festival, das ABC, das dieses Jahr wieder kommt. Ich finde es toll, dass sich Literatur, Kunst und Kultur breit öffnen und Augsburg aus diesem Minderwertigkeitskomplex rausholen, nur ein Vorort von München zu sein.
presstige: Haben Sie denn einen bestimmten Ort in Augsburg, an dem Sie sich am Liebsten aufhalten?
Roth: Einer der schönsten Orte Augsburgs ist für mich am Stadtweiher. Der kleine Teich bei der Kahnfahrt. Dieser Platz ist ganz wild romantisch. Brecht hat bereits darüber geschrieben. Und den Stadtmarkt finde ich auch ganz toll!
presstige: Wo sehen Sie die Zukunft der Stadt Augsburg?
Roth: Die Bewerbung um die europäische Kulturstadt hat einen Prozess ausgelöst. Diese Stadt hat eine Riesenchance, vor allem wenn der Umweltstandort zusammen geht mit dem kulturellen Reichtum. So kann Augsburg ein anderes Image bekommen, statt alleinig als Stadt der klassischen Musik, der Hochkultur und der Renaissance zu gelten. Es wird eine Stadt, die sich nicht vor ihren Bürgern oder Kindern wie Brecht fürchtet. Ein bitteres Kapitel für Augsburg ist, dass die Stadt durch eine völlig verkehrte und interessengeleitete ICE-Trassen-Planung droht, abgehängt zu werden. Da müssen alle an einem Strang ziehen, um das zu verhindern.
presstige: Worin sehen Sie persönlich Ihre Aufgabe als Gesandte dieser Stadt?
Roth: Als wir noch in der Regierung waren, haben wir dafür gesorgt, dass das Umweltministerium Modellversuche wie Erdgasbusse unterstützt – auch Jürgen Trittin war öfters dafür in Augsburg. Jetzt in der Opposition versuche ich natürlich genauso, Augsburg ein stückweit zu vertreten. Sicher habe ich dazu beitragen können, dass der Kulturstaatsminister zu der Eröffnung des Brechtfestivals gekommen ist. Es war ein tolles Signal der Anerkennung für diese Stadt. Überall in Deutschland werden Büchereien dicht gemacht und Augsburg bekommt eine neue Stadtbücherei. Ich glaube, so etwas ist die beste Zukunftsvision. Dabei versuche ich, so gut mitzuwirken wie ich kann.
presstige: Da wir gerade beim Thema Kultur sind: Jedes Jahr gibt es Diskussionen um die Straßenfeste in Augsburg. Meinen Sie, das liegt an der Kultur? Ist der Augsburger ein Grantler?
Roth: Ja, vielleicht einen Tick. Früher war es auch nicht unbedingt der Knaller, was in Augsburg so geboten wurde. Natürlich muss man die Interessen der Anwohner einbeziehen und die Sicherheitsauflagen. Aber wenn ich da an die WM im letzten Jahr denke! Ich war mit meinen Mitarbeitern draußen an der Messe, das war ein riesiges Fest. Obwohl wir gegen die Italiener verloren haben, ist man in der Nacht noch mit ihnen Korso gefahren. Das tut der Stadt richtig gut!
presstige: Kommen wir zur Hochschule: Wie schätzen Sie denn das Potenzial des Hochschulstandorts Augsburgs – FH, Uni – ein, im nationalen und internationalen Vergleich?
Roth: Ich glaub schon, dass man aufpassen muss, dass durch die Elitehochschulen andere nicht völlig abhängt werden. In Sachen Internationalität hat sich in Augsburg viel getan und wir sind viel weiter als andere Städte. Es gibt erfolgreiche Versuche ausländische Professorinnen und Professoren hier herzuholen und auch ausländische Studenten werden besser unterstützt. Dadurch kann sich Augsburg ein spezifisches Image erarbeiten und so attraktiv sein. Mir gefällt sehr der ganze Bereich der Friedensforschung. Da könnte man auch die Friedensstadt Augsburg, mit dem hier ansässigen Friedenspreis, als Markenzeichen für die Universität etablieren. Die Münchner sollen jetzt nicht die Nase hochhalten und sagen „wir haben die zwei Eliteunis und die anderen in Bayern können gucken, wo sie bleiben”.
presstige: Da Sie von Eliteunis sprechen: Entspricht die Eliteföderung in Bayern der Förderung der Naturwissenschaften?
Roth: Das finde ich falsch. Auch in der Schule gibt es diese Tendenz. Es fehlt an sozialen Kompetenzen und emotionaler Intelligenz, aber das ist erst der Kitt, der eine Gesellschaft zusammenhält. Ich glaube, dass die Geisteswissenschaften eine unglaubliche Bedeutung für die Ausbildung von Persönlichkeiten haben. Sie schaffen ein moralisches und ethisches Fundament, das wir dringend für eine Begrenzung von neuen Technologien aus einer ethischen Perspektive heraus benötigen.
presstige: Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die aktuellen Entwicklungen an der Musikhochschule?
Roth: Ja, das ist ja schon verrückt. Was hier bisher an ausgezeichneter Qualität vorhanden ist, wird jetzt eingespart. Das ist überhaupt nicht nachvollziehbar.
presstige: Seit dem Frühjahr müssen die Studenten Studienbeiträge bezahlen und die Studierendenvertreter rufen zu Popularklagen auf. Inwieweit können Sie den Studenten dazu raten?
Roth: Ich glaube, dass sich die Studiengebühren jetzt schon sehr negativ auswirken. Es ist eine Schande, dass wir das sozial selektivste Bildungssystem der ganzen industrialisierten Welt haben. Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, spielt bei uns die soziale Herkunft so eine entscheidende Rolle wie in keinem anderen vergleichbaren Land. Für Menschen mit Migrationshintergrund wird es noch einmal deutlich schlimmer. Studiengebühren fördern die soziale Ungerechtigkeit, denn der Druck nach unten wird stärker. Das System drängt wiederum die Nicht-Abiturienten noch weiter nach unten. Das derzeitige Modell ist meines Erachtens schlecht und wenn sich die Studenten dort stärker anfangen zu wehren, dann kann ich nur sagen: Wird auch höchste Zeit!
presstige: … in Bayern gab es wenig Proteste gegen die Gebühren …
Roth: Ich habe mich gewundert, wie gering der Widerstand gegen die Studiengebühren war, da hätte ich mir deutlich mehr gewünscht. Ja, in Bayern war es ziemlich still. In NRW war der Protest ziemlich massiv, in Berlin hielt er sogar wochenlang an. Ich finde die Popularklagen gut. In einem Rechtsstaat sollte man sich durchaus an die Gerichte wenden, dafür sind sie ja auch da. Dass die Stundenten von ihrem Recht auf Widerstand Gebrauch machen, finde ich positiv.
presstige: Es gibt den Spruch: In Bayern kann man an der Uni nur was werden, wenn man das richtige Parteibuch hat. Wie stehen Sie da dazu?
Roth: Es gibt wirklich gute Gegenbeispiele, auch an bayerischen Universitäten und der Augsburger Uni. Aber hierbei darf natürlich nicht ein Parteibuch entscheiden, sondern allein die Kompetenz. Die Lehrfähigkeit, wissenschaftliche und pädagogische Kompetenz sind ausschlaggebend. Und ich stelle mir nichts Gruseligeres vor, als parteipolitisch orientierte Universitäten und Schulen. Meiner Meinung nach schadet es jedem Studienstandort, wenn er parteipolitisch orientiert ist. Natürlich kann jeder Student und Professor parteigebunden oder in einer Partei zugehörig sein, aber das Parteibuch darf wirklich nicht entscheiden.
presstige: Im Zuge des Bologna-Prozesses werden viele Studiengänge auf Bachelor und Master umgestellt. Halten Sie das für eine gute Entwicklung? Denken Sie, dass Deutschland dadurch international besser dasteht?
Roth: Das können Sie wahrscheinlich besser beurteilen als ich. Aber wenn wir mal eine Stufe runter von der Uni zur Schule gehen: Was sich die Föderalismusreform in diesem Bereich geleistet hat, ist das Gegenteil von dem, was wir brauchen. Wir haben in der Zwischenzeit gerade im Bildungsbereich eine Kleinstaaterei. Das ist völlig irre! Ich bin nicht für zentralistisch deutsche oder europäische Bildungssysteme, aber ich finde schon, dass man gemeinsame Bildungsziele braucht und dass dann den Schulen mehr Autonomie gewährt werden muss als bisher. Die internationale Anerkennung von Abschlüssen ist notwendig. Wichtig ist, dass man nicht das Niveau senkt und dass es keine Erosion nach unten gibt.