Hat die Tour de France 2007 den Anfang vom Ende des Radsports eingeleitet?
Einiges spricht für ein „Ja“ auf diese Frage: Dreist dopende Weltklassefahrer (Winokurow), der Abbruch der Übertragung (ARD, ZDF), der Rückzug kompletter Teams (Astana, Cofidis). Jenseits des Kampfes ums große Geld lebt der Radsport aber unbeeindruckt weiter. Junge Augsburger Fahrer können über Ullrich und Konsorten nur den Kopf schütteln.
Von Philipp Albers
Anna Beyer war nicht überrascht über das, was sich im Sommer in Frankreich abspielte: „Ich stand nicht vor einem Trümmerhaufen. Wer im Radsport richtig drin ist, weiß, dass die Tour de France ohne Doping kaum zu bewältigen ist.“ Anna ist im Radsport richtig drin, letztes Jahr wurde sie bei den Deutschen Meisterschaften Fünfte auf der Bahn. Nebenbei studiert die 21-jährige im dritten Semester Technische Informatik an der FH und macht in ihrem Verein, der RSG Augsburg, seit zwei Jahren Jugendarbeit. Auswirkungen der Pharma- Affinität bei den Profis spürt Anna kaum. Auf ihren Sport wird sie nicht argwöhnisch, sondern nur scherzhaft angesprochen. „War‘n wir wieder beim Arzt?“, wollen ihre Freunde wissen, wenn sie vom Trainingslager auf Mallorca zurückkommt. Darüber redet sie mit den jüngeren Fahrern: „Solche Sätze kriegen die auch zu hören, darauf müssen sie vorbereitet sein.“ Hin und wieder beruhigt sie ein paar Eltern, vermittelt ihnen, dass es zuerst um Spaß, dann um Leistung gehe.
32 Euro für den Rennsieg
Denn Radsport im Verein vor der Haustür und Leistungssport sind zwei verschiedene Welten: Bei einem bayerischen Straßenrennen bekommt Anna 32 Euro, wenn sie gewinnt. Dafür setzt niemand seine Gesundheit oder seinen Ruf aufs Spiel. Wer die Augen offen hält, sieht höchstens umstrittene Aktionen. Laut Anna gibt es Fahrer, die vor dem Start ein Aspirin einwerfen. Das Schmerzmittel steht nicht auf der Dopingliste, das macht es für Anna aber nicht besser: „Schmerzen sind ja ein gewisser Kontrollpunkt.“ Wieso also den Körper austricksen und die Schwelle ignorieren?
Das sehen Philipp und Christian Zacher genauso. Die Brüder fahren bei den E-Racers in Augsburg, bei Rundfahrten starten sie für die RSG Olympiapark. Sie haben eine eigene Definition von Doping – strenger als die offizielle Liste: „Wenn jemand etwas nimmt und darauf achtet, dass es niemand sieht, ist das für mich Betrug“, sagt Christian, der dieses Jahr Abitur macht. „Alles, was auf ein schlechtes Gewissen hindeutet, ist anstößig.“ Doping ist, was man heimlich macht.
Mit seinem Bruder, der Lehramt studiert, fährt Christian jede Woche 300 bis 700 Trainingskilometer; doch auch für die beiden gibt es keine Chance auf Reichtum. „Das ganze Radfahren ist schon sehr idealistisch“ sagt Christian. Da braucht es mehr als ein paar abschätzige Kommentare, um die Sportler von ihrer Leidenschaft abzubringen. „Von den Zuschauern kommen halt diese blöden Sprüche à la ‚Ihr seid eh alle gedopt‘. Das meinen die aber nicht böse.“
Obligatorisch: Der Blick auf die Packungsbeilage
Im Feld ist das Thema eher tabu, man redet fast nur mit den eigenen Teamkollegen – und dort ist man des Doping-Geredes ohnehin überdrüssig. „Die Fahrer achten darauf, nichts Zweifelhaftes zu essen – basta. Über die Zutaten von Nahrungsergänzungsmittel kann man sich nicht irren“, sagt Philipp. Zumindest nicht, wer im Sportgeschäft einkauft. Beim Arztbesuch gilt dasselbe. Bekommt Anna Medikamente verordnet, schaut sie erst mal in die Packungsbeilage. „Ich würde nie was nehmen, von dem ich nicht weiß, was drin ist.“ Solche Vorsicht des Nachwuchses zeigt, wie unglaubwürdig Entschuldigungen von den positiv getesteten Topfahrern sind, die gelegentlich auf unbekannte Wirkstoffe in legalen Arzneien verweisen.
Im Sommer fuhr Anna die Thüringen-Rundfahrt mit, eines der härtesten Rennen im Damen- Radsport. Am vierten von sieben Renntagen hing sie im Anstieg fest, kam kaum noch vorwärts. Irgendwann überholte sie der Besenwagen und nahm ihre Startnummer ab, die Tour war damit vorbei. „Es ging einfach nicht mehr“, sagt Anna. Für sie war das so in Ordnung. |