Ein Haufen glaubwürdiger Typen

Mittendrin in der Piratenpartei

 

Auf dem Weg von der belächelten Randgruppe zur ernsthaften politischen Alternative: Mit Wahlerfolgen in Berlin und im Saarland hat sich die Piratenpartei in den Vordergrund der Medien geschoben. Bleibt die Frage, wer die Piraten eigentlich sind. Unser Autor wagte den Selbstversuch.

Von Stanley Yin

„Das sind die mit dem Internet“, sagen die Alten. „Das sind doch Nerds“, sagen die Jungen. „Das sind die nächsten Grünen“, sagen die Kommentatoren. „Das sind die, von denen niemand weiß, wer sie wirklich sind“, sage ich. Ich will es erfahren. Also beschloss ich, Pirat zu werden.

Ich werde Pirat – in zwei Klicks

„Pirat werden“, das klingt nach Kindheitsträumen, ist im Grunde aber nur ein schnöder Parteibeitritt und geht ganz schnell im Internet. Die Homepage des Kreisverbandes Augsburg ist übersichtlich, jeder Inhalt mit ein, zwei Klicks erreichbar. Das Grundsatzprogramm der Partei etwa, die AGB der Piraten quasi. Ich fasse mir ein Herz und lese es durch, ein gut verständlicher Text, in dem die Wörter „Bürgerrechte“ und „Liberalität“ dominieren. Soweit ganz löblich, also klicke ich mich zum Online-Mitgliedschaftsantrag, der deutlich macht, dass die Piraten eine Mitmachpartei sein wollen: Statt ein mehrseitiges Formular ausfüllen zu müssen, reichen hier Name, Adresse und Alter, um den Antrag abzusenden. Ein Kinderspiel – Ist Partizipation wirklich so einfach?

„Ich bin nicht der Chef“

„Ja, ist es“, bestätigt mir Vinzenz Vietzke, Vorstandsvorsitzender des Kreisverbandes Augsburg. Ein Politiker, der schneller Termine bestätigt, als der Transrapid zum Münchener Flughafen gebraucht hätte: Neun Minuten hat er für die Antwortmail benötigt, in der er mich gleich zur nächsten Parteisitzung eingeladen hat. So sitze ich ein paar Tage später in der Augsburger Haifischbar (!). Vinzenz hat soeben den offiziellen Teil der gut besuchten Parteisitzung beendet, nun wird diskutiert. Als die ersten Tische sich auflösen, verabschiedet Vinzenz jeden Einzelnen mit Vornamen und Handschlag. Ist das Partizipation? Partizipation wofür? Konkret nennt Vinzenz nur zwei Petitionen, eine für Asylanten und eine gegen Studiengebühren ‒ das Internet kommt hingegen kaum zur Sprache. Häufiger fallen dagegen die Begriffe „direkte Demokratie“, „Transparenz“ und „flache Hierarchien“. Sagt ausgerechnet der Chef? „Ich bin nicht der Chef. Die Basis ist der Chef. Sie fällt alle Entscheidungen“, wiegelt er ab. Ich glaube ihm das.

Frage des Vertrauens

Als ich die Haifischbar verlasse, habe ich eine interessante Partei kennengelernt, bin aber noch nicht komplett überzeugt. Das will die Piratenpartei auch gar nicht bezwecken. Sie ist keine Partei, die man wählt, um konkrete Themen voranzutreiben oder zu blockieren. Sie ist eine neue Form von Partei, die gewählt werden will, um die gesamte Politik samt ihren Werten infrage zu stellen – und sie versucht, ihre Glaubwürdigkeit aktiv vorzuleben, online wie offline. Ob Pirat oder nicht, hat also nichts mit Studiengang oder Bandbreite zu tun, sondern ist eine Frage des Vertrauens in das derzeitige politische System.

 


Die Piratenpartei Augsburg trifft sich jeden zweiten Dienstag und Sonntag ab 20 Uhr in der Haifischbar (Spitalgasse 16). Eine Hochschulgruppe (HSG) der Piratenpartei befindet sich in Gründung.


 

Vinzenz Vietzke ist seit Januar Vorstandsvorsitzender der Piratenpartei im Kreisverband Augsburg. Der presstige stand der 27-jährige IT-Angestellte Rede und Antwort:

presstige: Vinzenz, was macht ein Pirat tagsüber denn so?

Vinzenz Vietzke: Er geht seiner Arbeit nach – die meisten unserer Mitglieder sind Studenten und Angestellte, vor allem aus dem IT-Bereich: Alle vier Piraten im saarländischen Landtag sind beispielsweise Informatiker. Oder er ist einer unserer vielen Mitglieder im Ruhestand. Nach Möglichkeit verrichtet der Pirat dazu „Piratenarbeit“: E-Mails lesen und beantworten, um somit die Parteigeschicke mitzubestimmen.

Und warum engagiert sich jemand in der Piratenpartei?

Den meisten geht es nicht konkret um das Thema Internet, sondern darum, sich einer Partei anzuschließen, die tatsächlich arbeitet, zuhört, den Menschen nicht als Stimmvieh, sondern als Beteiligenden betrachtet. Das vermissen viele an den konventionellen Parteien, die den Bürgern nur alle paar Jahre eine reale Chance auf Partizipation gewähren. Auch die grundsätzliche Unzufriedenheit mit der politischen Situation spielt natürlich eine Rolle. Immer mehr Bürger sind der Meinung, dass man ‚doch was machen muss’.

Wo befindet sich in diesem ganzen Konstrukt das Internet?

Das Internet ist Teil unserer Infrastruktur und betrifft alle Bürger – jeder wird täglich damit konfrontiert, auch wenn man es nicht erwartet, am Bankautomaten oder am Ticketschalter. Eine ganze Generation ist mit dem Internet aufgewachsen und spricht dieselbe – unsere – Sprache. Dementsprechend hoch ist auch der Anteil der jungen Mitglieder in unserer Partei.

Tauscht man das Wort „Internet“ mit „Umwelt“ aus, erinnert das aber ganz schön an die Anfänge der Grünen. Nervt der Vergleich eigentlich?

Nein. Auch wir brauchen Anhaltspunkte und Vergleiche, um selbst ein Bild von uns zeichnen zu können, aber auch, damit die Bürger uns verstehen. Leider sind die Grünen mittlerweile auch eine etablierte Partei voller „Abnicker“ geworden, die den Elan der frühen Jahre verloren haben.

Die Grünen regieren Baden-Württemberg. Wann wird die Piratenpartei regierungsfähig?

Als Partei sind wir prinzipiell aus dem Stand heraus regierungsfähig, aber die anderen Parteien, das gesamte aktuelle politische System in Deutschland ist es nicht – zumindest nicht mit uns, solange sie unsere Absichten nicht verstehen.

Wie würdest Du einen Erstsemester davon überzeugen, zu den Piraten zu gehen?

In erster Linie würde ich ihn darauf hinweisen, dass nur noch die Länder Bayern und Niedersachsen Studienbeiträge verlangen; wir haben bereits eine entsprechende Petition auf den Weg gebracht, die momentan die wichtigste Aktion der bayerischen Piraten darstellt. Wenn das nicht zieht, etwa weil der Student keine Beiträge zahlen muss, appellieren wir an sein Demokratieverständnis und sein grundsätzliches Interesse für Politik.

Vinzenz, wo siehst Du die Piraten in zehn Jahren?

Idealerweise werden wir in zehn Jahren nicht mehr existieren, da wir nicht mehr benötigt werden. Das tritt ein, sobald die politische Führung unsere Ideale von Transparenz und Beteiligung sowie andere Positionen unserer Partei übernommen hat. Aber das wird nicht geschehen. Realistisch betrachtet werden wir auch in zehn Jahren noch die Finger in die Wunden legen und die Bürger für mehr Demokratie motivieren.

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