Augsburgs Erotikszene
Von Magdalena Klingler, Rebecca Naunheimer & Johanna Zach
Wir stehen an einer viel befahrenen Straße. Gegenüber von uns ein Laden, auf dem in weißen Lettern auf rotem Hintergrund das Wort Orion prangt. Und die Idee, die im jugendlichen Leichtsinn entstanden ist, kostet plötzlich große Überwindung. Auf dem Weg über die Straße folgen uns gefühlt tausend Blicke. Die ersten Versuche, den Eintritt zu wagen, scheitern. Ein dreimaliges Auf und Ab vor der Ladentür, dann der Vorstoß.
Aufs Schlimmste gefasst, treten wir über die Schwelle. Doch sobald sich unsere Augen an das helle Licht im Laden gewöhnt haben, realisieren wir: Entgegen unserer Erwartungen hat der Laden nichts mit der Abstellkammer eines Bordells gemein. Im Orion gibt es keine verdunkelten Fenster, keine ominösen Flecken auf dem Boden. Aus Lautsprechern tönt die Stimme eines Wettermoderators – er kündigt schönes Wetter an. Immer selbstbewusster laufen wir über den roten Teppich Richtung Ladenmitte. Eingerahmt von deckenhohen Regalen voller aufblasbarer Puppen, Dessous, Filmen und weiblichen Geschlechtsorganen im Taschenformat, begrüßt uns eine sympathische Frau mittleren Alters. Ihre dunklen Haare sind zu Zöpfen geflochten. Ihre Kleidung ist schlicht und schwarz.
„Statt Flaschen sind es jetzt eben Dildos“
„Ob Erotik oder Getränke, da sehe ich keinen Unterschied“, sagt Andrea G.*, Besitzerin des FranchiseUnternehmens Orion am Leonhardsberg in Augsburg. Zwischen ihrer früheren Tätigkeit als Leiterin eines Getränkemarkts und ihrem jetzigen Beruf bestehen ihrer Meinung nach viele Ähnlichkeiten. „Statt Flaschen sind es jetzt eben Dildos. Das Konzept ist das gleiche!“ Auch, wenn ihre Familie anfangs nicht begeistert war von ihrer
Umschulung, wird ihre Entscheidung heute respektiert und ihre Verwandten gehen locker damit um. Anders bei Silke H., die seit April dieses Jahres für Andrea G. im Orion arbeitet. Aus Mangel an Alternativen hatte sie sich auf eine Anzeige in der Zeitung hin beworben – eine Entscheidung, von der ihre Mutter überhaupt nicht begeistert war. Doch Silke H. ließ sich nicht beirren: „Es ist mir lieber, wenn mich Leute sehen, wie ich zur Arbeit in den Sexshop gehe, als wenn sie mich dabei sehen, wie ich zum Arbeitsamt muss“, betont sie.
Bereits seit 15 Jahren besitzt Andrea G. die Orion-Filiale und ist glücklich damit. Doch obwohl sie nun schon so lange in dieser Szene arbeitet und auch ohne Hemmungen darüber spricht, gibt es bestimmte Grenzen für Andrea G.: „Kein Blut, kein Kot und keine zu jungen Mädchen“, lauten ihre Bestimmungen für das Filmsortiment. Auch sonst geht es in ihrem Geschäft sehr gesittet zu. Oberste Priorität haben die Kundenbetreuung und -beratung. Für Silke H. ist die Arbeit hier lockerer und der Umgang mit den Kunden entspannter als bei ihren vorherigen Jobs. „Unser Beruf ist nichts Außergewöhnliches, man sollte mit dem Thema ganz natürlich umgehen. Es gehört einfach dazu!“
Die Tabus sind lange nicht gebrochen
Orion versucht dem verdorbenen Ruf des Sexshops entgegenzuwirken, indem das Geschäft ein freundlicheres Konzept verfolgt und seine Tür für alle volljährigen Kunden offen steht. Und es funktioniert: Die Kundschaft im Orion ist bunt gemischt. Am hinteren Ende des Ladens stöbern zwei junge Frauen in der Dessousabteilung, während ein älterer Herr sich direkt neben uns ganz unverhohlen die Packungsbeilage einer Gummipuppe durchliest. Doch sind die Zeiten der Heimlichtuerei wirklich für jeden vorbei? Nein. Auch wenn durch Schocker-Romane, wie Shades of Grey oder Feuchtgebiete, das Thema Sexualität mehr in den Mittelpunkt rückt, sind die Tabus noch lange nicht gebrochen. Besonders bei den älteren Generationen stoßen Silke H. und Andrea G. oftmals auf Missachtung. Während der Raucherpause sei es ihnen schon mehrmals passiert, dass sie von vorbeifahrenden Rentnern beschimpft wurden.
Doch nicht zu Unrecht haben viele Leute noch ein abschätziges Bild von Sexshops. Tatsächlich existieren viele Läden, die ihre Prioritäten anders setzen als Orion. Während es Andrea G. wichtig ist, Erotik und nicht „Schmuddelei“ zu verkaufen, setzen andere Betreiber auf Sex-Kino und dazugehörige Kabinen. Ein Konzept, das aufgeht. Die Kinos erbringen den höchsten Umsatz und die meiste Kundschaft.
Allerdings eine sehr einseitige Kundschaft, wie Andrea G. weiß. Junge Mädchen sähe man dort kaum. Uns überrascht das nicht, denn wir selbst fühlen uns nicht wohl, als wir den Laden verlassen und uns weiter in der Szene umschauen. Was gerade in den Kinos läuft, wird am Tresen über Fernseher übertragen. Männer stehen in der DVD-Abteilung. Frauen? Keine. Die Fenster abgedunkelt, die Türe verschlossen.
Doch auch solche „schmuddeligen“ Shops gehören zur Erotikszene Augsburgs. Als Student bekommt man von dieser allerdings reichlich wenig zu sehen. Und das ist nicht verwunderlich, denn das meiste spielt sich im Schatten ab. Im Schatten der Fuggerei, im Schatten des Theaters, im Schatten des Perlachturms. Beleuchtet man das Phänomen Sexshop jedoch etwas genauer, wird schnell klar: Es ist nichts Verwerfliches an dem Geschäft mit der Lust. Und gerade die größeren Ketten setzen auf entspannte Atmosphäre und Modernität. •
* Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.