Das Internet soll das Wissen der Welt zu uns bringen. Allerdings will keiner Wikipedia-Artikel auswendig lernen. Deshalb brauchen wir die Uni im Internet! Eine Vorstellung und einen ersten Test der „massive open online courses“ (MOOCs) gibt es hier.
Text: Alexandra Kiefer, Katharina Knopf, Illustrationen: Marina Schröppel
Donnerstagmorgen, 7:25 Uhr, Katharina: Mein Wecker nervt mich schon seit mehreren Minuten, denn ich sollte dringend aufstehen. Draußen ist es dunkel und, wie ich vom warmen Bett aus vermute, auch ziemlich kalt. Der Weg zur Uni für das Seminar um 8:15 Uhr erscheint mir wenig reizvoll. Bestimmt bin ich nicht die Erste, die davon träumt, anstatt zur Uni zu gehen, lieber im Bett zu bleiben, aber Pech gehabt – der Dozent ist eben im Seminarraum und nicht in meiner Studentenbude. Wenn ich doch nur mein Bett in den Hörsaal verwandeln könnte…
Donnerstagnachmittag, 13:30 Uhr, Katharina: Als ich von meinem Traum erzähle, kommt von meiner Freundin Alexandra die typische Antwort: „Darüber habe ich schon etwas gelesen.“ Seit 2010 werden frei zugängliche Uni-Kurse auf mehreren Online-Plattformen angeboten. Der Stoff wird jede Woche in kurze Videos verpackt, passend dazu gibt es gleich im Anschluss Verständnisfragen und Hausaufgaben. Neugierig will ich sofort den Praxistext machen und überzeuge Alexandra davon, mitzumachen.
Schwerpunkt: Internet
Auch wenn wir es mit der NSA und anderen Datensammlern teilen müssen: Das Internet bleibt unser Zuhause. Wir essen und schlafen vorläufig noch analog, aber sonst findet unser Leben zunehmend im Netz statt. Darum widmet die presstige-Redaktion dem Internet einen Schwerpunkt. Alle bisher erschienenen Beiträge sind hier gesammelt.
Abschluss aus Harvard, Berkeley oder dem MIT gefällig?
Freitagnachmittag, 14:00 Uhr, Alexandra: Das Projekt Uni 2.0 beginnt. Wir klicken uns durch mehrere Seiten, die MOOCs anbieten. Die meisten sind auf Englisch, seit diesem Herbst bietet aber auch die deutsche Seite iversity.org einige Kurse an. Für diese kann man sich übrigens immer noch anmelden; die Zeiträume sind wie bei fast allen anderen Seiten flexibel. Eine Ausnahme stellt coursera.org dar, weil dort die Kurse zu festen Startzeitpunkten beginnen. Nach einer simplen Anmeldung für den Kurs wird man aber per E-Mail daran erinnert.
Ist man an mathematisch-naturwissenschaftlichen Kursen interessiert, wird man bei udacity.com fündig. Das Angebot dieser Seite könnte jedoch bald ausgebaut werden. Schließlich gilt der Gründer der letztgenannten Seite, Sebastian Thurn, als Vorreiter und Sprachrohr auf dem Gebiet der MOOCs. Sein offiziell angekündigtes Ziel ist es „die Hochschule zu demokratisieren“ und so Bildung für alle zugänglich zu machen. Dass dabei auch noch höchste Qualitätsansprüche gewahrt bleiben können, zeigt die Plattform edx.org. Sie ist aus einer Kooperation des Massachusetts Institutes of Technology (MIT) und Harvard gewachsen. Inzwischen beteiligen sich weitere Unis an dem gemeinnützigen Projekt.
Ihr wollt noch mehr über die verschiedenen Anbieter von MOOCs wissen?
Dann hilft euch dieses Video vielleicht weiter.
Freitagnachmittag, 15:30 Uhr, Alexandra: Die Entscheidung ist gefallen. Katharina folgt ihrem Interesse und beginnt mit “The Future of Storytelling” auf iversity.org. Und ich “vergnüge” mich mit “Statistics” auf udacity.com. Mehr oder weniger freiwillig. Im zweiten Semester hatte ich bereits eine Vorlesung dazu, allerdings weiß ich davon nur noch wenig. Blöd nur, dass ich das alles bald erneut für die Uni brauche, daher der Online-Kurs.
Die ersten Eindrücke aus Storytelling und Statistics
Samstagnachmittag, 14:00 Uhr, Katharina: Mein Kurs „The Future Of Storytelling“ wird zwar von Lehrenden und Studenten der Uni in Potsdam gedreht, aber auf Englisch abgehalten. Um die Internetsprache kommt man also auch auf iversity.org nicht ganz herum, was für mich glücklicherweise kein Problem ist. Und zur Not gibt es häufig sogar Untertitel.
Da ich mich selber regelmäßig kreativen Schreibarbeiten widme, denke ich, ein wenig Theorie dahinter dürfte nicht schaden. Also beginne ich sofort, enthusiastisch die ersten Videos zu schauen, praktischerweise von meinem Bett aus. Die Dozentin, die eher den Eindruck einer Studentin macht, erklärt, worum es geht. Außerdem unterstreicht sie ihre Worte gleich mit Interviewauszügen verschiedener berühmter Erzähler wie beispielsweise Cornelia Funke.
Die Videos sind gut gemacht und es werden viele Beispiele verwendet, was sich für das Thema besonders gut anbietet. Allerdings bekomme ich nach einiger Zeit das Gefühl, zu viel Input schadet dem Output und nimmt dem Ganzen den Zauber. Aber das ist wohl dem Fach und meiner persönlichen Wahrnehmung geschuldet. Trotzdem lerne ich einige interessante Dinge und bekomme Denkanstöße in Richtungen, die ich sonst nicht verfolgt hätte.
Sonntagmittag, 12:00 Uhr, Alexandra: Statistik, mal wieder. Der Anfang ist vielversprechend. Meine Dozentin Katie beginnt mir den Zweck statischer Auswertungen zu erklären und das in verständlichem Englisch, begleitet von einfachen Zeichnungen und Notizen. Da die Studenten auf ihre Fragen nicht sofort antworten können, bittet sie im Video Passanten in einer Straßenumfrage um kreative Antworten.
Kreativer jedenfalls als stattdessen virtuelle Kreuzchen zu setzen; das darf ich nach fast jedem Video machen. Direkt danach wird alles in einem weiteren Video erklärt. Das ist sehr gut, da ich bei manchen Fragen nur raten kann. Manchmal folgt gleich die nächste Frage und das darauf folgende Antwort-Video ist nur zehn Sekunden lang. Als ich auf ein Kapitel mit 70 Videos stoße, hilft diese Erkenntnis, um nicht gleich zu flüchten. Komisch, dabei bin ich in der Uni doch längere Zuhörzeiten gewohnt. Dafür habe ich online keine Angst, falsche Antworten abzugeben – anders als im Hörsaal. Die Quizrunde zum Abschluss eines jeden Kapitels lässt sich deshalb gut bewältigen, auch wenn die Fragen knackiger werden und die Erklärungen hier fehlen. Zur Not schafft das Kursforum Abhilfe.
Unser Fazit einen Monat später
Mittwochabend, 20:20 Uhr, Katharina: Erst eine Pause, dann keine Zeit und schließlich fast vergessen: den Online-Kurs regelmäßig weiterzumachen, fällt schwer. Da macht es mir die Uni wesentlich einfacher als mein Bett: Bin ich erst einmal dort, besuche ich auch meine Seminare. Sitze ich dagegen vor meinem Laptop, lasse ich mich doch gerne ablenken. Ein Problem, das höre ich von Alexandra, mit dem nicht nur ich zu kämpfen habe. Das ist definitiv ein Haken an der Sache. Trotzdem schlägt der noch lang nicht den massiven Vorteil: Nur online bekomme ich die Möglichkeit, Einblicke in Fächer zu bekommen, die mir sonst verwehrt bleiben.
Sonntagnacht, 00:30 Uhr, Alexandra: Ich bin begeistert, was ich alles online erlernen könnte. In letzter Zeit habe ich in viele Kurse kurz reingeschaut. Die Anmeldung geht auch schnell, nur der Kursabschluss nicht. Mit dieser Ansicht bin ich nicht alleine. Nur drei bis zehn Prozent der Teilnehmer auf udacity.com schließen ihren Kurs ab. Um die Quote zu steigern, bietet udacity.com ein Tutoring-Programm an; allerdings endet hier der kostenlose Service. Mein Tipp: Gleich vom Kursstart an dabei sein, dann ist in der Kurs-Community mehr los und man kann sich dort gegenseitig antreiben. Fast wie in einer echten Vorlesung.