VIVA LA VULVA

Mit diesem Artikel startet unsere presstige-Themenwoche „Let’s talk about sex!“. Die ganze Woche über präsentieren wir euch hier Beiträge zu Themen der sexuellen Vielfalt und Aufklärung. Viel Spaß beim Lesen!

© Deon Black via Unsplash

Hast du eine? Oder nicht? Hast du sie dir schon mal ganz genau angeschaut? Angefasst? Wie nennst du sie? Und wo ist was gleich wieder?

Lasst uns über die Vulva reden. Über Aufklärung, Begrifflichkeiten und ihre wunderbare Vielfalt. Besser muss es heißen: Lasst uns über Vulven reden. Davon haben wir alle was.

Von sexueller Aufklärung

Die Vulva gehört zu den weiblichen Geschlechtsorganen. Sie bezeichnet die äußeren Geschlechtsorgane über Venushügel, Vulvalippen, Klitorisköpfchen und -häubchen. Sie wird im Sprachgebrauch oft mit der Vagina gleichgesetzt, diese bezeichnet jedoch nur den inneren Gang zur Gebärmutter. Die meisten, aber nicht alle Menschen mit Vulva und Vagina bezeichnen sich als Frauen.

„Jede Vulva ist so individuell wie ein Fingerabdruck!“ sagt Lea Magdalena Eichner (geb. Kroner), Erziehungswissenschaftlerin und ausgebildete Sexualpädagogin. Seit der Gründung ist sie bei pia dabei, der jungen Pro-Familia-in-Action-Gruppe in Augsburg. Sie findet es wichtig, Menschen mit ihrer eigenen Sexualität vertrauter zu machen und beantwortet ihnen als Expertin ihre Fragen. „Ich selbst hatte viel zu wenig Sexualaufklärung in meiner schulischen Bildung“ erklärt sie. Oft würde Sexualaufklärung im schulischen Kontext zu kurz kommen. Und wenn es vorkomme, sei es häufig auf den Biologieunterricht reduziert – dabei spielen neben den biologischen Faktoren auch die soziale und psychische Ebene der Sexualität eine wichtige Rolle. Als Erwachsene würden sich viele Menschen dann nicht mehr trauen, Fragen zu stellen. „Wenn man sich dann selbst informiert im Internet, findet man jede Menge Mythen und falsche Informationen. Wo richte ich da meine Fragen hin?“ Lea Eichner klärt Erwachsene (nochmal) auf, ermutigt sie, Fragen zu stellen und sich auszutauschen. „Der Mensch lernt sein Leben lang, warum sollte bei der sexuellen Bildung nach der siebten, achten Klasse damit aufgehört werden?“

"Jede Vulva ist so individuell wie ein Fingerabdruck!"
Lea Eichner
Erziehungswissenschaftlerin und Sexualpädagogin

Vom Benennen

Wichtig dabei: Begriffe. Wie nenne ich das „da unten“? Das Wort „Scheide“ wird oft verwendet, wenn es um dieses Geschlechtsorgan geht. Dabei stammt der Begriff tatsächlich aus dem Mittelalter und kommt von – wer hätte es gewusst? – einer Schwertscheide, in die der „Ritter“ sein „Schwert“ steckt. Ganz klar aus Penisträgersicht definiert also. Und ganz schön passiv. Viel schöner ist es doch, dieses Geschlechtsorgan als aktives Organ zu fassen und mitzudenken, dass mensch damit noch ganz viele andere Dinge tun kann. Oder es lassen kann. „Vagina“ ist lateinisch und bedeutet ebenfalls „Scheide des Schwertes“ – wird medizinisch jedoch bevorzugt genutzt. Und weil sich für Geschlechtsorgane wirklich niemand schämen sollte, wird in feministischen Kreisen auch lieber von Vulvalippen und Venushügel gesprochen als Begriffe zu verwenden, bei denen die Scham schon mit dem Wort vermittelt wird. „Begriffe wie Scheide und Schamlippen halten sich hartnäckig. Nicht nur in alten Büchern, auch im Internet und im heutigen Sprachgebrauch“ meint Lea Eichner. Und es stimmt ja: Darüber zu schreiben ist einfacher als darüber zu sprechen. Beim Schreiben kann ich mir die Worte zurechtlegen, wieder löschen, neu schreiben. Beim Sprechen gestaltet sich das schwieriger. Der Gebrauch neuer Begriffe muss erst erlernt und geübt werden.

Vom Üben

Eine Möglichkeit zum Üben bot der Vulva-Workshop, den die Sexualpädagogin im Sommer 2019 an der Universität Augsburg anbot. Zehn Frauen* nahmen teil und redeten darüber, was Sexualität für jede Einzelne bedeutet, wie die weibliche Sexualität in der Gesellschaft verhandelt wird, über den weiblichen Zyklus und über Verhütungsmethoden. Mit Knetmasse sollten die Anwesenden eine Vulva modellieren. „Dann kamen bei vielen Teilnehmer:innen doch noch Fragen auf: Wie war das doch gleich? Das Modellieren hat geholfen, die Thematik nochmal zu verbildlichen und selbst zu erfassen. Man verinnerlicht etwas ganz anders, wenn man es anfasst, als wenn man es nur gesagt bekommt.“ Körperbasierte Methoden findet Lea Eichner wichtig in der sexuellen Bildung.

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Von unseren Vorstellungen

In dem Workshop wurde auch besprochen, von welchen Vorstellungen die eigene Wahrnehmung geprägt wird. Vulven können mehr oder weniger behaart sein, die Vulvalippen eine unterschiedliche Farbe haben, unsymmetrisch und unterschiedlich groß sein. So einzigartig wie ihre Träger:innen eben. Sind wir uns aber dieser Vielfalt bewusst? Können wir sie wertschätzen? Daran lässt sich zweifeln, zumindest auf globaler Ebene. Der International Society of Aesthetic Plastic Surgery zufolge stieg die Zahl der Operationen an Vulvalippen, sogenannten „Korrekturen“, seit 2015 um 73,3% an. Gründe dafür können medizinischer Natur sein, beispielsweise wenn die Vulvalippen zu groß sind und Probleme im Alltag oder Schmerzen beim Sex erzeugen. Der größere Teil der Eingriffe ist aber ästhetischer Natur. Es wird ein Ideal angestrebt, das viele Menschen verinnerlicht haben. „Man spricht auch von einer ‚Brötchenvulva‘: Die Vulva soll so ‚fein‘ wie eine frische Semmel aussehen. Sie soll symmetrisch sein, die inneren Vulvalippen sollen nicht rausschauen, nur ein kleiner Schlitz soll sichtbar sein. Das Bild taucht nicht nur in der Pornographie auf, auch auf anderen Ebenen. Dabei wird verkannt, dass jede Vulva unterschiedlich ist“ sagt Lea Eichner.

Vom Kämpfen

Auch in der Kunst wurden Vulven oft unbehaart und ohne die inneren Vulvalippen dargestellt. Aktuell erleben sie ein künstlerisches Revival. In feministischen Kreisen sind sie zum beliebten Motiv geworden und haben dabei nicht nur künstlerisches, sondern auch revolutionäres Potential. So entwickelten sich Vulven auch zum Symbol im Kampf für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Auch auf der diesjährigen Demonstration am 8. März in Augsburg protestierte eine Verantwortliche von pia mit einem Schild mit den Worten „Viva la Vulva“ auf dem Rathausplatz.

© Alisha Berchtold

Vom Hinschauen

Am besten sehen wir uns aber nicht nur künstlerische Bilder, sondern auch Fotos von natürlichen Vulven an. Denn: Das hat eine positive Wirkung auf die genitale Selbstwahrnehmung! In einer Studie aus dem Jahr 2016 wurden Menschen zur Wahrnehmung ihrer eigenen Vagina und Vulva befragt, zu Gefühlen in persönlichen und interpersonalen Situationen, zu Aussehen und Geruch. Sie äußerten sich bevor und nachdem sie sich 44 verschiedene Fotos natürlicher Vulven ansahen. Mit dem Ergebnis, dass ihr genitales Selbstbild nach der Bildershow positiver ausfiel als zuvor. Dieser Effekt wurde zwei Wochen nach der Studie überprüft und konnte zu diesem Zeitpunkt noch immer nachgewiesen werden. Das Motto #malsorichtighinschauen, hätte gut zu den Ergebnissen dieser Studie gepasst. Tatsächlich wurde es von dem Freiburger Kollektiv „Vulvaversity“ ins Leben gerufen, dessen Künstler:innen und Projektemacher:innen das Ziel verfolgten zu zeigen, wie vielfältig Vulven tatsächlich sind, „in all ihren Farben und Formen“. Sie produzierten einen Abreißkalender, für den 365 Menschen ihre Vulva fotografieren ließen. Die Nachfrage nach dem Kalender war so groß, dass Folgeprojekte nach der Pandemie bereits geplant sind. Auf Instagram formuliert das Kollektiv ihre Botschaft mit dem Aufruf „Lasst uns das kulturelle Bild der Vulva durch die Pubertät schicken! So dass wir die erwachsene Vulva in ihrer Vielfalt schätzen lernen.“

Lea Eichner kann sich gut vorstellen, in Zukunft wieder Vulva-Workshops anzubieten – in persona, nicht digital. Dann aber am liebsten über drei oder vier Termine verteilt, damit man noch mehr „schöne, körperbasierte Methoden“ anwenden, bei manchen Themen ins Detail gehen, und vor allem: alle Fragen beantworten kann.

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