Früher Ausbildung, heute Studium – eine Hebammenstudentin im Interview

Nicht jeder Beruf, jede Ausbildung oder jedes Studium bekommt in unserem Alltag ausreichend Aufmerksamkeit. Dabei gibt es in unserer Gesellschaft viele Berufe und Tätigkeiten, ohne die so einiges nicht funktionieren würde. Gerade in der jetzigen Situation merken wir oft, wie wichtig jede helfende Hand sein kann.

Deshalb wollen wir in diesem Semester in unserer neuen Artikelreihe „Unsere stillen Held:innen“ Menschen vorstellen, die aus unserer Sicht diesen Titel verdient haben. In verschiedenen Interviews möchten wir ihre Arbeit oder ihr Ehrenamt besser kennenlernen, Chancen und Probleme aufzeigen und einen Blick in die Zukunft werfen. Dabei möchten wir es den Personen ermöglichen, uns ihre Tätigkeit näherzubringen und ihnen somit die verdiente Aufmerksamkeit schenken. Wir stellen Euch „unsere stillen Held:innen“ vor.

Unsere stillen Held:innen

Ein Studium, das den meisten von uns nicht geläufig ist, ist die Hebammenkunde. BWL oder Jura kennen wir alle – darunter kann sich jede:r etwas vorstellen. Die wenigstens werden dagegen Student:innen kennen, die den Beruf der Hebamme oder des Entbindungspflegers lernen. Dabei sind diese Personen im entscheidendsten Moment dabei – bei der Geburt. Wie sieht der Alltag einer Hebammenstudentin oder eines Entbindungspflegers aus? Wieviel verdient man als Hebamme bzw. Entbindungspfleger? Und wie ist es, ein Kind unter Corona Bedingungen auf die Welt zu bringen? Presstige hat für Euch nachgefragt. 

Veronika (links) ist 20 Jahre alt und studiert seit Oktober Hebammenkunde in München © Veronika Fendt

Hallo Veronika, schön, dass du Teil unserer Reihe „Unsere stillen Held:innen“ bist. Warum hast du dich ausgerechnet für das Studium der Hebammenkunde entschieden?

Also angefangen hat es damit, dass ich ein Praktikum bei einer Hebamme während meiner Schulzeit gemacht habe. Das waren so die ersten Berührungspunkte mit diesem Beruf und ich habe schnell gemerkt, dass ich Hebamme werden möchte, da ich keinen anderen Beruf kenne, der so abwechslungsreich und wunderschön ist.

Ab nächstem Jahr muss man für den Beruf der Hebamme studieren. Ich konnte letztes Jahr noch entscheiden, ob ich eine Ausbildung oder ein Studium machen möchte und habe mich dann für das Studium entschieden. Also ab dem nächsten Ausbildungsbeginn wird eine Ausbildung zur Hebamme nicht mehr möglich sein, sondern nur noch das Studium. 

 

Weißt du, warum das so ist?

Einerseits soll mit dem dualen Studium erreicht werden, dass es mit anderen Ländern besser vergleichbar ist. In anderen Ländern konnte man es zum Beispiel schon immer nur studieren. Außerdem spielt auch die Verantwortung eine Rolle. Im Krankenhaus ist es eben oft so, dass die Ärzt:innen die Anweisungen geben und die Hebammen diese dann ausführen. Wenn man jetzt selbst studiert hat und sozusagen „eine Ebene höher ist“, soll erreicht werden, dass die Hierarchien nicht mehr so extrem sind.

 

Du studierst in München. Warum hast du dich ausgerechnet für diese Stadt entschieden?

Ich habe mich in Ulm, München und Regensburg an der Hebammenschule beworben, weil es zum Semesterstart in Bayern nur diese drei Hochschulen gab, an denen man Hebammenkunde studieren konnte. Dann bin ich in München genommen worden und habe dort direkt zugesagt. Es ist nämlich sehr schwierig einen Platz zu bekommen, da es so viele Bewerber:innen gibt.

In München sind wir jetzt 27 Studentinnen, tatsächlich auch nur Mädchen, und es waren über 250 Bewerber:innen soweit ich weiß… deswegen muss man da echt nehmen was man kriegt (lacht). 

 

Wie sieht momentan ein typischer Tag in deinem Studium aus?

Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben immer Unizeiten und Praxiszeiten. Wenn wir an der Hochschule sind, haben wir Zoom-Vorlesungen, wahrscheinlich wie in jedem anderen Fach auch. Unsere Fächer sind zum Beispiel Anatomie oder wir lernen den Geburtsverlauf näher kennen – Fächer, die eben zur Hebammenkunde gehören. Wir haben aber auch Vorlesungen zu Pharmakologie, also Arzneimittelkunde, oder auch Physik. Und dann haben wir auch Praxistage, an denen wir an der Hochschule sind und uns gegenseitig Blut abnehmen oder Stillpositionen mit Puppen üben.

In der Praxiszeit arbeiten wir ganz normal im Krankenhaus, wie in der Ausbildung auch. Dort sind wir dann auf verschiedene Stationen aufgeteilt. Also entweder im Kreißsaal, der Kinderintensivstation oder auf der Wochenbettstation. Es gibt ganz unterschiedliche Einsatzgebiete, die wir kennenlernen. Wir arbeiten im Schichtdienst und laufen mit einer Hebamme oder Krankenschwester mit und dürfen auch Sachen selbst machen.

© Veronika Fendt

“Aber die wirklichen Held:innen sind nicht wir, sondern die Frauen.”     ~ Veronika Fendt

Wie lange dauert ein Studium zur Hebamme?

Bei uns sind es sieben Semester. Im dritten und vierten Semester haben wir Praxiseinsätze, die außerhalb des Krankenhauses sind. Wir haben in diesen Semestern die Möglichkeit Praktika bei freiberuflichen Hebammen auch in der Hausgeburtshilfe zu machen. Nach dem sechsten Semester haben wir unser Examen und sind fertig ausgebildete Hebammen. Im letzten Semester schreiben wir dann abschließend noch unsere Bachelorarbeit.

 

Wie ist es momentan mit Corona? Ich stelle mir eine Entbindung unter Corona- Bedingungen ziemlich schwierig vor. Wie nimmst du das wahr?

Also ich nehme es ganz unterschiedlich wahr. Auf der einen Seite sind die Frauen sehr unsicher, da sie nicht wissen, wie die Regeln sind und diese sich ja auch ständig ändern. Bei uns im Krankenhaus ist es so, dass der Partner bzw. die Partnerin zur Entbindung mitkommen darf. Die Frauen müssen während der Geburt auch keine Maske tragen und werden davor getestet. Der Partner oder die Partnerin darf auch noch zwei Stunden nach der Geburt im Kreißsaal mit dabei sein. Es gibt außerdem jeden Tag ein Zeitfenster für Besucher in denen die Person kommen darf, die bei der Entbindung dabei war.

Das wird ganz unterschiedlich aufgenommen. Die einen sind sehr dankbar, dass überhaupt jemand kommen darf und freuen sich richtig! Gerade aber in Kulturkreisen, in denen es üblich ist, dass die ganze Familie bei der Geburt dabei ist, ist das teilweise schon sehr schwierig. Im Kreißsaal ist es dann teilweise so, dass die Partner:innen über Facetime die ganze Familie an der Geburt teilhaben lassen. Auf mich ist das immer ziemlich befremdlich… aber natürlich verstehe ich es auch, wenn es in den Kulturkreisen einfach so ist.

 

Wie geht es den Frauen psychisch dabei, unter den Corona-Bedingungen zu entbinden? Das ist für den Kopf bestimmt nicht so einfach, oder?

Vor allem wenn die Frauen ein paar Wochen vor der Geburt zur Geburtsanmeldung kommen, merkt man, dass sie sich viele Sorgen machen wie die Geburt unter Corona-Maßnahmen ablaufen wird. Ganz viele entschieden sich auch momentan dafür nach der Geburt ambulant nach Hause zu gehen. Also sechs Stunden nach der Geburt müssen sie im Krankenhaus bleiben und danach können sie theoretisch heimgehen, wenn alles gut läuft. Außerdem werden vermehrt Hausgeburten nachgefragt. Während der Geburt macht sich aber keine Frau noch groß um Corona Sorgen, weil man mit dem Kopf natürlich ganz wo anders ist (lacht). Also es ist eher so, dass die Frauen sich im Vorfeld viele Gedanken machen.

© Veronika Fendt

Gab es schon mal den Fall, dass eine Frau kurz vor der Entbindung positiv auf Corona getestet wurde?

Ja das hatten wir auch schon. Das ist dann so, dass es ein eigenes Zimmer gibt, in das die Frau dann kommt. In das Zimmer gehen dann auch möglichst wenige Leute. Wir Studentinnen müssen dann auch nicht mit rein, wir werden gefragt ob wir das wollen. Es gibt dann eine feste Hebamme, die auch die meiste Zeit in dem Raum ist. Ein Kreißsaal ist ein bisschen weiter weg von den anderen. In dem kann dann entbunden werden. Die Frauen dürfen für die Geburt trotzdem ganz normal ins Krankenhaus kommen. Ich fühle mich auch jeder Zeit sicher bei der Arbeit. Wir Studentinnen haben auch direkt ein Impfangebot bekommen und ich bin auch geimpft und wir können jederzeit getestet werden.

 

Wie hast du deine erste Geburt miterlebt?

Tatsächlich war meine erste Geburt an meinem ersten Tag im Kreißsaal. Ich hatte an dem Tag einen Dienst, der zum Teil zwischen Früh- und Spätschicht war. Dann kam eine Hebamme zu mir und meinte, dass eine Frau jetzt bald entbindet und in den Kreißsaal kommt und ob ich denn da dabei sein möchte. Dann bin ich natürlich mit und wir sind in den Kreißsaal gegangen. Dann habe ich mit der Frau gemeinsam die Wehen veratmet und ein bisschen am Rücken massiert – ich hatte so Begleitungsaufgaben. Bei der Frau war auch ganz lange kein Partner dabei und ich war dann sozusagen der Partnerersatz (lacht). Die Hebamme ist dann nochmal aus dem Kreißsaal gegangen und dann war ich erstmal alleine mit der Frau… für den ersten Tag fand ich das krass. Aber es war toll, dass ich direkt an meinem ersten Tag so einbezogen wurde und das hat mich auch richtig glücklich gemacht. Bei der Geburt hatte ich dann auch eine echt enge Bindung zu der Frau, weil wir ja die ganze Zeit zusammen waren. Dann war es leider so, dass es ein paar Komplikationen gab und viele Ärzte da waren, die helfen mussten. Der Kopf hat nämlich nicht ganz durch das Becken der Frau gepasst und die Ärzte haben dann auf dem Bauch rumgedrückt und die Frau hat noch einen Wehentropf bekommen. Deshalb habe ich von der Geburt an sich nicht ganz so viel mitbekommen.

Irgendwann war dann das Kind da, der Vater dann mittlerweile auch (lacht) und als die Eltern ihr Kind angeschaut haben und das Kind die Eltern, bin ich richtig emotional geworden und musste ein bisschen weinen, weil es so schön war zu sehen, wie die drei in dem Moment eine kleine Familie geworden sind. Das hat mich richtig berührt und ab diesem Moment wusste ich so sicher, dass ich den richtigen Beruf lerne.

 

Warst du schon mal bei einer Geburt dabei, bei der es schwerwiegendere Komplikationen gab? Und wie war das für dich?

Ja hatte ich. Dadurch, dass ich in München in einem Krankenhaus bin das vor allem auf Risikoschwangerschaften spezialisiert ist, kommt so etwas schon häufiger vor. Bei einer Geburt war ich dabei, da ist das Kind mit dem Kopf schon auf der Welt gewesen aber die Schultern sind hängen geblieben. Das war dann ein Notfall und ich musste direkt die Ärzte anrufen. Das Kind hat dann auch nicht richtig geatmet und die Hebamme musste dann das Kind beatmen. Die Frau hat auch noch ziemlich viel nachgeblutet und hat dann direkt im Kreißsaal noch eine Narkose bekommen, weil sofort versucht wurde diese Blutungen zu stoppen.

Das war für mich auch nicht so einfach zu verarbeiten. In dem Moment stand ich direkt daneben und wusste gar nicht so wirklich was ich machen sollte und habe nur noch auf Anweisungen reagiert. Ich habe das dann auch mit der Hebamme nachbesprochen und mit vielen anderen Studentinnen geredet und das hat mir sehr geholfen. Aber das gehört auch einfach zu dem Beruf dazu, dass Situationen eintreten, die vorher natürlich nicht so geplant waren. Am Ende ist dann aber alles gut ausgegangen. Sowohl dem Kind als auch der Mutter ging und geht es gut.

 

Was würdest du sagen muss man mitbringen, um diesen Beruf auszuüben?

Man muss auf jeden Fall empathisch sein und sich in die Situationen hineinversetzen können. Gleichzeitig muss man sich aber auch abgrenzen können. Man sollte sich immer wieder sagen, dass man zwar in diesem Moment dabei ist und sein bestmögliches gibt, sodass alles funktioniert… aber wenn es nicht funktioniert und ich alles getan habe was ich kann, dann ist es nicht meine Schuld.

Mir hilft es auch ganz viel mit den anderen Studentinnen und Kolleg:innen zu reden, aber auch wirklich nur mit denen. Wenn ich aus München rausfahre und nach Hause komme, kann ich auch immer gut abschalten. Ich finde es tatsächlich auch ganz gut, dass ich nicht die ganze Zeit in München wohne, sondern auch eine Grenze habe und weiß: „Ok, jetzt bin ich daheim.“ und mich nicht die ganze Zeit mit Hebammensachen beschäftige.

 

Die Frage aller Fragen… wieviel verdient eine Hebamme?

Da ist es ganz unterschiedlich, je nachdem ob du als freiberufliche Hebamme tätig oder im Krankenhaus angestellt bist. Meistens ist es so, dass man im Angestelltenverhältnis weniger verdient. Ich selbst habe mich mit dem Gehalt, das wir dann als fertig ausgebildete Hebammen bekommen, auch noch nicht intensiv beschäftigt muss ich zugeben (lacht). Wir im Studium verdienen momentan auch schon… dafür haben ein paar aus unserem Studium gekämpft, da wir auch mit im Schichtdienst arbeiten und dann wenigstens ein Ausbildungsgehalt ganz schön wäre. Sie haben beim Gesundheitsministerium angefragt und das wurde auch von der Hochschule unterstützt. Das hat dann tatsächlich auch geklappt und jetzt werden wir dafür bezahlt. Im ersten und zweiten Semester bekommen wir 1150 Euro im Monat.

 

Unsere Reihe heißt „unsere stillen Held:innen“. Du hilfst mit, Kinder auf die Welt zu bringen. Ich finde, das ist auf jeden Fall eine Heldentat. Würdest du dich denn selbst als Heldin bezeichnen?

Ich würde sagen es ist ein total besonderer Beruf. Aber die wirklichen Held:innen sind nicht wir, sondern die Frauen. Wir sind eher die Unterstützer:innen oder Ratschlaggeber:innen (lacht). Wir selbst halten uns eher im Hintergrund.

© Veronika Fendt

Denkst du, dass unsere Gesellschaft über den Beruf bzw. das Studium der Hebamme noch zu wenig informiert ist? In meinem Freundeskreis kenne ich zum Beispiel niemanden und da ist das auch nie Thema.

Ich finde auf jeden Fall, dass in unserer Gesellschaft noch mehr über den Beruf informiert werden sollte. Gerade auch in meinem Freundeskreis außerhalb meines Studiums gibt es auch niemanden der Hebammenkunde studiert. Es gibt aber beispielsweise schon ein Projekt das nennt sich „Hebammen an Schulen“. Mit dem Projekt wird versucht in die Schulen zu gehen und den Schüler:innen zu erklären, was überhaupt eine Hebamme ist und was ihre Aufgaben sind.

 

Welchen Leuten würdest du den Beruf weiterempfehlen?

Ich würde den Beruf Leuten empfehlen die sich für das Thema Geburt und Schwangerschaft interessieren. Man darf sich auch nicht zu sehr ekeln… man sieht schon Sachen, die nicht jeder direkt wegsteckt (lacht). Aber wenn man empathisch ist und für seinen Beruf lebt, dann ist es auf jeden Fall ein wunderschöner Beruf.

 

Wie sieht es mit Praktikumsplätzen in diesem Bereich aus?

Ich persönlich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr einfach ist an einen Praktikumsplatz zu kommen. Gerade bei einer freiberuflichen Hebamme hatte ich gar kein Problem. Im Krankenhaus ist es so, dass man für ein Praktikum meistens volljährig sein muss und es auch aufgrund der aktuellen Situation eher schwieriger ist.

 

Gibt es Internetseiten und Social Media Kanäle, die du empfehlen kannst, um sich noch näher über den Beruf und das Studium zu informieren?

Es gibt eine Gruppe, die nennt sich „junge Hebammen“. In der Gruppe sind ganz viele Hebammen, die sich momentan in der Ausbildung, Studium befinden oder auch schon fertige Hebammen sind. Da findet man viele Infos. Über den Beruf selbst findet man sehr viele hilfreiche Informationen auf der Internetseite des Bayrischen Hebammenverbands oder beim Deutschen Hebammenverband.

 

Vielen Dank Veronika, für die spannenden Einblicke in dein Studium!

Social Media Accounts und Internetseiten zum Thema



Der Studiengang kommt nach Augsburg

Im Interview mit Veronika habe ich erfahren, dass der Studiengang Hebammenkunde auch bald an die Universität Augsburg kommt.

„Wir freuen uns mit dem Universitätsklinikum Augsburg und unserer Medizinischen Fakultät, dass die gemeinsame Arbeit an diesem Hebammenstudiengang nun konkret umgesetzt werden kann“.

Das sagte die Universitätspräsidentin Prof. Dr. Sabine Doering-Manteuffel im März diesen Jahres. Der dann dritte Studiengang an der Medizinischen Fakultät wird voraussichtlich im Studienjahr 2023/2024 mit zunächst circa 25 Studierenden starten. Mit der Freigabe durch den Ministerrat beginnt nun die Konzeptionierungsphase.

Bislang kann man in Augsburg nur eine Ausbildung zur Hebamme bzw. zum Entbindungspfleger absolvieren. Das Partnerkrankenhaus befindet sich in Osnabrück. In zwei Jahren wird sich das ändern! Falls Ihr also mit dem Gedanken, spielt Hebammenkunde zu studieren, findet ihr hier weitere Infos!

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