Warum Leitungspositionen junge Perspektiven brauchen

Studentin, Aktivistin, Arbeitgeberin – Wie die Augsburger Studentin Alisha Berchtold mit ihrer Verantwortung als Vorständin umgeht und was sie sich für die Zukunft wünscht.

Dieser Artikel ist Teil unserer Themenwoche “Student:in – und was noch?”, in der wir Euch Studierende in einer besonderen Lebenssituation oder mit einem besonderen Engagement vorstellen möchten. In einer Kooperation mit der Augsburger Allgemeinen sind unsere Artikel auch dort online erschienen.

Die 23-jährige Alisha Berchtold spricht über ihre Arbeit im Vorstand der pro familia Augsburg e.V. ©Anne Eberhard

Alisha Berchtold sitzt in ihrem Arbeitszimmer vor dem Bildschirm. Über die Kamera im Zoom-Meeting sieht man einen weißen Vorhang und ein Keyboard, das an der Wand hinter ihr hängt. Ein Ort, an dem Alisha seit einigen Monaten viel Zeit mit Videokonferenzen, mit der Beantwortung von E-Mails oder am Telefon verbringt. Die 23-Jährige studiert im achten Semester Erziehungswissenschaft an der Universität. Seit März diesen Jahres ist sie zudem Vorständin des Vereins pro familia Augburg e.V.

Der Augsburger Ortsverband von pro familia zählt über 70 Mitglieder und beschäftigt zurzeit 15 Mitarbeiter:innen in der Beratungsstelle. Das Angebot ist breit gefächert und umfasst Themen wie Partnerschaft, Familie und Schwangerenberatung, aber auch Verhütung und Sexualität. Bereits 2019 kam Alisha im Rahmen ihres Pflichtpraktikums für ihr Studium zum ersten Mal mit dem Verein in Kontakt. Sie trat damals in den Verein ein, um dort mehr Mitspracherechte zu erhalten. „Mir ist es wichtig, dass junge Stimmen im Verein sind, die auch aktiv sind“, betont die Studentin. Seit März 2021, als sie von den Mitgliedern der pro familia in den Vorstand gewählt wurde, widme sie einen Großteil ihrer Freizeit der Arbeit im Verein, sagt sie. Alisha ist seitdem die jüngste Vorständin des vierköpfigen Teams und damit Arbeitgeberin der Mitarbeitenden in der Beratungsstelle. Ihre Arbeit beschreibt sie als vielfältig: Sie reiche von organisatorischen Punkten, in denen sie beispielsweise Arbeitsverträge ausstellt, bis hin zu inhaltlichen Aspekten, bei denen der Vorstand neue Themen einbringt oder Zielsetzungen formuliert.

Ihr Studium lasse sich dabei gut mit ihrer Tätigkeit vereinbaren, sagt sie. Fachlich könne sie Themen, die in der Beratung behandelt werden, einordnen und verstehen. Zeitlich ermögliche ihr das Studium, dass sie ihre Arbeit flexibler einteilen und oft schneller reagieren könne. „Ich bin einfach so gut wie immer erreichbar“, gesteht Alisha ein. Insgesamt habe sie die Zeit unterschätzt, die sie in das Ehrenamt investiere. 

Eine Studentin als Arbeitgeberin – Wie geht eine junge Person mit so viel Verantwortung um? Sie fühle sich sicher und wohl mit der Verantwortung, die sie in ihre Position trägt, sagt Alisha. Der stetige und gute Austausch mit der Leitung der Geschäftsstelle sei dabei genauso wichtig wie die gemeinsame Entscheidungsfindung der vier Vorstandsmitglieder. „Mir ist es wichtig, klarzustellen, dass ich als junge Person und Studentin gut mit der Verantwortung umgehen kann”, sagt sie. Dass die Zusammenarbeit gut funktioniere, bestätigt auch Heidi Walter, fachliche Leitung der Beratungsstelle. Der Übergang sei trotz der überwiegenden online-Kommunikation gut gelaufen.

Widerstände, auf die man als junge Vorständin stoßen könne, habe Alisha bisher nicht erfahren. Bei den Vereinsmitgliedern sei der Wunsch, die Vorstandsposition mit einer jungen Person zu besetzen, sogar explizit geäußert worden, sagt sie. Alisha wertet das als Offenheit von pro familia gegenüber junger Partizipation und Teilhabe. „Auch andere Organisationen sollten junge Perspektiven verstärkt in leitende Positionen einbeziehen. Diversität in Leitungspositionen sollte sich auch auf das Alter beziehen“, sagt sie. Herangehensweisen, wie die höhere Bereitschaft zum Aktivismus, fänden zwar nicht bei allen sofort Anklang, es führe aber auch zu konstruktiven Diskussionen, sagt sie. Junge, engagierte Menschen würden zudem den Verein jung halten. „Wir müssen die junge Generation in der Vereinsarbeit mitnehmen. In Augsburg sind beispielsweise viele Selbstbestimmungsgegner:innen aktiv, gegen die wir unsere eigene Tätigkeit setzen und weiter setzen müssen”, sagt die Vorständin.

Auf Veranstaltungen oder Aktionen sieht Alisha sich sowohl als Repräsentantin der pro familia als auch der Jugendorganisation pro familia in action, kurz pia. Pia ist ein Zusammenschluss junger Menschen unter dem Dach der pro familia, die nach eigener Angabe sexuelle und reproduktive Rechte durch soziale Medien und Aktionen thematisieren möchten. Diese doppelte Rolle – als junge Aktivistin in einer Leitungsposition tätig zu sein – bringe Chancen mit sich, sagt sie. Denn als Studentin sei sie nah dran an jungen Lebenswelten. Außerdem könne der Verein verstärkt von Vernetzungen mit anderen aktivistischen Initiativen in Augsburg profitieren. „Durch pia und durch die Uni bin ich gut vernetzt mit jungen Bewegungen wie Queer Augsburg, Medical Students for Choice oder auch Fridays for Future. Diese Vernetzungen, die ich mit in die pro familia bringe, nutzen wir, um gemeinsam mehr zu bewegen“, sagt Alisha. Neben der Sichtbarmachung und Beratung zu verschiedenen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen, gebe es dabei ein weiteres Herzensthema für sie: die Verbesserung der Versorgungslage in Augsburg zu Schwangerschaftsabbrüchen. „Jetzt haben wir ja auch einen Medizinstudiengang in Augsburg. Es wäre doch cool, wenn da was gehen würde“, sagt sie. 

Sowohl in ihrem bald beginnenden Masterstudium als auch darüber hinaus möchte Alisha sich weiter für die Themen der pro familia einsetzen. Nach ihrer Amtszeit könne sie sich vorstellen, sich nochmals als Vorständin zur Wahl zu stellen, aber auch „nur noch” als Aktivistin tätig zu sein. Dass beides möglich ist, hat sie bereits gezeigt.

Hinweis: Alle Interviews für die Artikel unserer Themenwoche wurden bereits im Juni dieses Jahres geführt.

Schreibe einen Kommentar