Wie es ist, als erste:r in der Familie zu studieren

Arbeiterkinder oder Nichtakademikerkinder meint Studierende der ersten Generation innerhalb einer Familie. Ich, Franziska, bin die erste in meiner Familie, die ein Studium aufgenommen hat. Bevor ich vor drei Semestern mit studieren angefangen habe, konnte ich mir nicht wirklich etwas darunter vorstellen. Es war ein schwammiges Etwas, das in irgendwelchen Städten passiert, kein Einkommen einbringt und mir zugegebenermaßen viel Angst gemacht hat. Auch ich, Alex, bin Arbeiter:innenkind und als ich zum ersten Mal mit dieser Begrifflichkeit konfrontiert wurde, habe ich nicht verstanden, inwiefern der Bildungsweg meiner Eltern etwas mit meinem eigenen und meiner Entscheidung zu studieren zu tun haben soll.

Laut Hochschul-Bildungs-Report entscheidet die soziale Herkunft jedoch noch immer maßgeblich über den Bildungserfolg eines Kindes. Lediglich 27 Prozent der Grundschüler:innen aus einem Nichtakademiker:innenhaushalt beginnen später ein Studium – im Vergleich dazu liegt der Prozentsatz bei Akademikerkindern bei 79 Prozent. Neben dem Wechsel von der Grundschule zur weiterführenden Schule stellt auch der Übergang zur Hochschule eine der größten Hürden für Kinder aus Nichtakademikerfamilien dar. Selbst dort angekommen verläuft die akademische Karriere anders, als bei Kindern mit akademischem Hintergrund: von 100 Akademikerkindern schließen 10 mit einem Doktortitel ab. Bei den Arbeiterkindern ist es nur eins. Die Pandemie hat in den letzten zwei Jahren – wie in vielen anderen Bereichen auch – wie ein Brennglas gewirkt und bereits bestehende Probleme und Ungerechtigkeiten verschärft  – so auch die Bildungsungleichheit.

Bildungsverlauf, unterteilt nach Nichtakademiker*innenkindern und Akademiker*innenkinder, bis 2014 Quelle: Hochschulbildungsreport 2020

Die Initiative ArbeiterKind.de hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der Nicht-Akademikerkinder an Hochschulen zu erhöhen und fungiert so als Anlaufstelle für Studierende und Schüler:innen ohne akademischen Hintergrund. Presstige hat mich Michael gesprochen, der Teil der Augsburger ArbeiterKind.de Gruppe ist. Michael ist selbst Arbeiterkind und über seine Schwester auf die Gruppe aufmerksam geworden, die schon vor ihm ihr Studium aufgenommen hat. “Ich weiß, wie schwierig ich es gehabt hätte, hätte ich sie und ihre Erfahrungen nicht gehabt”, sagt er über sich selbst. Bei ArbeiterKind.de möchte er mit seinem Engagement etwas zurückgeben und anderen jungen Menschen helfen, die als Erste in der Familie eine universitäre Ausbildung absolvieren. Besonderen Beratungsbedarf haben die Studierenden, und solche die es werden wollen, beim Thema Finanzen. ArbeiterKind.de möchte an dieser Stelle weiterhelfen und fängt damit schon in den Gymnasien, Berufs- und Fachoberschulen an. Die Ehrenamtlichen erzählen, wie ein Studium abläuft und bringen ihre persönlichen Erfahrungen mit ein – Ziel ist es, zu zeigen, was auf die Schüler:innen zukommt, damit sie dann ihre eigenen Entscheidungen treffen können. 

Im Gespräch mit Arbeiterkindern

Doch was bedeutet es eigentlich, Arbeiterkind zu sein? Mit welchen Herausforderungen hat man als Arbeiterkind zu kämpfen? Und was wünscht sich AbrieterKind.de für die Zukunft? 
Um Antworten auf diese Fragen zu bekommen, haben wir außerdem mit zwei weiteren Studierende über ihre Erfahrungen als Studierende der ersten Generation gesprochen. 
Raphael ist 23, studiert an der Uni Augsburg den Master Umweltethik und wurde zum ersten Mal im ersten Semester seines Bachelors damit konfrontiert, dass der Bildungsabschluss der Eltern Einfluss auf den eigenen Bildungsweg haben kann. Auch wenn ihm dabei kein konkreter Moment vor Augen sei, so habe er doch immer wieder gemerkt, dass die Tatsache, ob die Eltern studiert haben oder nicht, an Relevanz gewonnen habe. Auch Lea, die momentan im dritten Semester BWL an der Uni studiert, ist die erste in der Familie, die an der Universität ist. Sie erzählt uns, dass sie die Erfahrung gemacht habe, dass fast alle aus ihrer Klasse am Gymnasium damals an die Uni gegangen sind – ungeachtet der Bildungswege der Eltern. “Aus meiner Klasse am Gymnasium haben damals so gut wie alle ein Studium begonnen, eine Ausbildung zu machen wurde uns da nicht wirklich nahe gelegt. Aber als ich mich dann aufs Studium beworben habe, da habe ich gemerkt, dass meine Eltern mir bei den Bewerbungen für die Unis oder auch der Auswahl des Studiengangs nicht wirklich weiterhelfen konnten”, so die 24-Jährige.

Herausforderungen an der Uni...

Michael berichtet, dass besonders zu Beginn des Studiums immer wieder Schwierigkeiten für Arbeiterkinder auftauchen: “Besonders am Anfang hat man Probleme – Wie finanziert man ein Studium? Wen kann man fragen? […] Zum Beispiel hat man keine Ahnung, dass man sich den Stundenplan selbst zusammenstellen muss.” Doch auch im weiteren Verlauf des Studiums werde man immer mal wieder an das Arbeiterkind-Sein erinnert. Raphael erzählt so beispielsweise von Freund:innen, von denen er es gewohnt war, dass diese ihre Hausarbeiten mit ihren Eltern besprechen und sich inhaltlich über die Themen austauschen konnten. Bei ihm sei eine solche Unterstützung nicht möglich gewesen. Lea berichtet außerdem davon, dass sie Schwierigkeiten damit hatte, sich allgemein an der Universität zurechtzufinden: “Da ich aufgrund der Pandemie meine ersten zwei Semester von zu Hause aus machen musste, ist es mir sehr schwer gefallen, in das Ganze System Uni reinzukommen. Mir hätte es sicher geholfen, wenn ich mich mit anderen Studierenden mehr darüber hätte austauschen können.”

... und im sozialen Umfeld

Doch nicht nur im Universitätskontext berichten die Betroffenen von Herausforderungen. Oft entstehen diese erst, wenn man das akademische Umfeld verlässt. Mit Blick auf das Elternhaus oder das soziale Umfeld berichtet Michael: “Ich wurde von meinen Eltern zum Glück nie in eine Ecke reingedrängt. Bei dem ein oder anderen bekommt man aber schon einen Druck in Richtung ‘lern was Handwerkliches, lern was Richtiges’ mit.” Ähnliche Erfahrungen hat Raphael gemacht: Aus der Verwandtschaft kämen immer mal wieder Fragen, wieso man denn studieren müsse – insbesondere einen geisteswissenschaftlichen Studiengang. Dies sei auch in Leas Familie der Fall, jedoch betont sie, dass ihre Familie auch immer wieder sagt, wie stolz sie darauf sei, dass sie studiert.

 

Und in der Zukunft?

Zum Schluss wollten wir noch wissen, was sich ArbeiterKind.de für die Zukunft wünscht, damit Arbeiterkinder besser unterstützt werden können. Bei Michael stehe dabei vor allem eine bessere finanzielle Unterstützung für Studierende von staatlicher Seite im Vordergrund, um so die Hürde hin zur Hochschule mehr abzubauen. “Mit dem BAföGsatz lebst du unter Hartz-IV Satz (Anm. der Redaktion: 2022 liegt der BAföG-Höchstsatz bei 861€, der monatliche Hartz-IV-Regelsatz bei 449€ plus die Kosten der Unterkunft). Entweder du arbeitest nebenzu noch viel, worunter die Studienleistungen leiden, oder du hast Eltern, die das bezahlen können. Das ist schon eine kleine Diskriminierung.” Auf unsere letzte Nachfrage, was er Arbeiterkindern mitgeben möchte, rät er diesen, keine Angst vor dem ungewissen Studium zu haben. “Selbst wenn einem das Studium nicht gefällt, kann man es abbrechen. Man hat keine großen Verpflichtungen und keinen Arbeitsvertrag”, so Michael.

Bereits 2020 hat Presstige über die Initiative Arbeiterkind berichtet und ist näher auf die Probleme und Herausforderungen von jungen Erwachsenen aus nichtakademischen Haushalten eingegangen. Den Artikel mit weiteren Informationen über die Thematik sowie die Arbeit der Ortsgruppe von ArbeiterKind.de in Augsburg findet ihr hier.

ArbeiterKind.de Augsburg freut sich, allen aus nichtakademischen Haushalten, die Fragen zum Studieren haben, mit Rat und Tat weiterzuhelfen. Interessierte können sich über augsburg@arbeiterkind.de an die Gruppe wenden oder bei dem offenen Stammtisch vorbeischauen, der jeden ersten Mittwoch im Monat stattfindet. Normalerweise trifft man sich im Annapam, aktuell jedoch über Zoom. Auf Instagram findet man die Ortsgruppe Augsburg unter dem Namen arbeiterkind.augsburg

Wie viele andere Initiativen und Vereine leidet auch die Gruppe ArbeiterKind.de Augsburg seit der Pandemie unter fehlendem ehrenamtlichem Nachwuchs. Aber ihr könnt das natürlich ändern: Falls euch die Arbeit von ArbeiterKind.de interessiert und ihr selbst euren Teil zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen möchtet, dann meldet euch einfach bei der Ortsgruppe Augsburg oder schaut direkt beim Stammtisch vorbei!

Schreibe einen Kommentar