Mord am Feuerwachturm – eine Kurzgeschichte

Ich dachte das hier wäre ein Männerjob, nur deshalb hatte ich mich freiwillig gemeldet. Ich dachte auch nie, dass sie mich wirklich den Feuerwachturm hochschicken würden, und dann noch als eine der Ersten. 

Da das Ganze für mich doch so spontan war, hatte ich nicht einmal die Möglichkeit mir auszudenken, wie ich die nächsten fünf Stunden hier verbringen würde. Ich sollte Ausschau halten und melden, wenn ich Rauch sah oder ein Feuer ausbrach. So wie ich diese Stadt kannte, würde heute nichts Interessantes passieren. Das letzte Feuer ist über acht Jahre her und das heißt was. Wundert mich eigentlich, dass dieser Job nicht abgeschafft wurde.

In weniger als zwei Stunden würde jemand vorbeikommen und mir mein Abendessen bringen. Wenigstens darum musste ich mir keine Gedanken machen. Sitzmöglichkeiten gab es nicht viele. Nur ein einziger kleiner Holzstuhl, der mich kaum halten konnte und ehrlich gesagt wollte ich mit meinem Gewicht lieber nichts riskieren. Also stand ich, seit ich hergekommen war daneben und sah in die Ferne.

Vor mir erstreckten sich nach einer kleinen Landstraße, die ins Tal führte, kilometerlang Felder und Wiesen und der Frühling verfärbte alles in ein erfrischendes Grün. Dahinter lagen Wälder und ich erkannte Tannen und weitere Nadelbäume, dessen Namen mir nicht bekannt waren. Sie waren aber auch zu weit, um sie eindeutig identifizieren zu können. Ganz am Rande war dann das Gebirge, dessen Namen ich immer vergaß, doch ich wusste es reimte sich auf das Wort ‘Strauch’. Dumme Eselsbrücke, ich weiß,  aber wenigstens brachte sie manchmal doch was. Heute eher nicht.

Eine weitere Stunde verging und die Sonne verließ langsam ihren Thron. Mein Magen knurrte und ich musste an mein Essen denken. Hoffentlich bringt der Junge mir Kartoffeln oder Brot, etwas das satt macht. Um mich von diesen Gedanken abzulenken, sah ich wieder in die Landschaft, doch dort regte sich den ganzen Tag schon nichts. Um die Zeit zu vertreiben, entfernte ich den Schmutz unter meinen Fingernägeln, die von der täglichen Feldarbeit sowieso kaum noch als Nägel durchgingen. 

Andrey via Pixabay

Von unten kam Gelächter. Zuerst ignorierte ich es, doch es wurde schnell lauter. Ein Pärchen, beide noch ziemlich jung, liefen Händchen haltend den Weg entlang und bemerkten mich gar nicht. 

„Ich will nur ein schönes, einfaches Leben. Was ist daran falsch?“, sagte der Junge und ließ sich ins Gras fallen. Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Sie stand weiterhin am Rande des Wegs und sah zu ihm runter. 

„Ich meinte doch nur, du sollst mehr an deine Zukunft denken und nicht alles so gelassen sehen. Mehr sag ich doch gar nicht.” Das Mädchen ging in die Hocke. “Ich muss wissen, ob das mit uns so weitergeht“ 

„Wie auch immer.“ Der Junge schnaufte aus und schloss seine Augen, ohne weiter auf das Gespräch einzugehen. 

Ich konnte sogar von hier oben die angespannte Stimmung spüren. Wie schnell sich das ändert. Sie waren doch eben noch so glücklich verliebt unterwegs gewesen. Ich sollte eigentlich nicht mehr zuschauen, es ging mich schließlich nichts an. Ich wollte mich gerade zurückziehen als ich das Mädchen schreien hörte. Schnell war ich wieder am Geländer des Turms und sah wieder zu ihnen. Er hatte sie zu sich auf den Boden gezogen. Sie hatte es wohl nicht kommen sehen und ist ungeschickt hingefallen. Gut, nichts Schlimmes. Ich atme wieder auf und beobachte weiter. Mehr Entertainment würde es heute nicht mehr geben und jemand muss ja den Erwachsenen spielen und auf die Kinder aufpassen.

Das Mädchen legte sich auf ihn und sie fingen an sich zu küssen. Ich unterdrückte meinen Ekel, konnte trotzdem den Blick nicht abwenden. Ich sollte nach Feuer Ausschau halten, nicht Teenagern beim Rumschmusen zuschauen. Er war nun über ihr und sie hörten nicht auf, bei dem was sie machten. Seine Hände glitten über ihren Körper und ich hörte sie stöhnen. Nun war mir das doch etwas peinlich, aber sie wussten ja nicht, dass sie beobachtet wurden. 

„Nein, nicht.“, ächzte sie unter seinem Gewicht und versuchte ihn wegzudrücken, doch er war wohl zu schwer. Mit einer Hand stütze der Junge, sich im Gras ab, mit der Anderen hielt er ihren Körper fest an sich gepresst.

„Was ist denn nun los, meine Süße?“, lachte er und sie versuchte weiterhin sich loszulösen, erfolglos. Ich konnte die Lage nicht mehr richtig einschätzen und wurde nervös.

Seine freie Hand wanderte wieder ihren Körper hinauf und blieb an ihrem Hals stehen.

„Ach komm, dir gefällt das doch.“ Sie schüttelte den Kopf und er erwidert nur: „Letzte Nacht hast du noch was Anderes gesagt.“, bevor er anfing ihr mit seiner Hand die Kehle zuzuschnüren. 

Sie schüttelte ihren Kopf noch heftiger als vorher und durch ihren Mund kamen nur gedämpfte Schreie raus. Ich wusste nicht, was geschah und was ich tun sollte. Seine Hand war immer noch fest um ihren Hals und nun nahm er auch die andere und drückte noch fester. Ich sah noch nie ein so erschrecktes und panisches Gesicht wie das des Mädchens in diesem Moment.

„Weißt du was? Ich hab es satt andauernd deine dummen Kommentare zu mir und wie ich leben soll anzuhören. Ich möchte-” Er wurde lauter. “doch nur-” Noch lauter. “einen Moment-” der Junge stemmte sein ganzes Gewicht gegen seine Freundin. “Ruhe!“, schrie er in ihr laut in das blasse Gesicht. Ich sah ihre Beine zappeln und ihre dünnen Arme versuchten ihn von sich zu reißen.

Abrupt sanken ihre Gliedmaßen zu Boden und das Schreien hörte auf. Es wurde still und ich versuchte keinen Mucks zu machen und unbemerkt zu bleiben. Mit zugepresstem Mund ging ich langsam einen Schritt nach hinten und setzte mich auf den Hocker, der etwas knautschte und ich zuckte zusammen. Ich hatte einen Mord beobachtet. Ich konnte es kaum fassen und traute mich nicht zu atmen, mich zu bewegen oder nochmal nach unten zu sehen. Nach dem Mädchen zu sehen. Dem jetzt toten Mädchen.

Laute Schritte rissen mich aus meiner Trance und auf einmal hatte ich das Gefühl der Angst in meiner Brust. Jemand kam die Turmtreppe hoch und es konnte nur der Junge sein. Ich sah mich nach etwas um, das ich im Notfall als Waffe benutzen könnte, doch ich war ihm ausgeliefert. Seine Schritte wurden lauter und der er kam näher. Ich versuchte mich zu beruhigen und blieb still auf dem Stuhl sitzen. Und wartete. 

Ich tat so als hätte ich ihn nicht hochkommen gehört und beschäftigte mich wieder mit meinen Fingernägeln. Er war oben angekommen.

„Diane Chapman?“, fragte er laut und ich sah erschrocken auf. Er setzte ein Lächeln auf und erst jetzt erblickte ich den Korb, den er bei sich trug. Er hielt ihn mir entgegen und sprach: „Ihr Abendessen. Brot, Aufstrich und etwas Gemüse. Ich hoffe, das passt.“ 

Ich nahm den Korb entgegen und hielt seinen Blick, aber brachte kein Wort raus.. Ahnte er etwas? Ich war mir nicht sicher.

„Na, dann. Schönen Tag noch.“, sagte er mit einem Lächeln und verschwand wieder.

Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln. Schließlich stand ich auf und ging zum Geländer. Der Junge war schnell wieder unten, nahm das Mädchen an den Füßen und fing an ihren Körper Richtung Wald zu schleifen. Bevor ich unbemerkt wieder verschwinden konnte, begegnete der Junge meinem Blick und mir stockte der Atem.

Er hielt kurz an, winkte mir zu und lächelte wieder, bevor er und seine leblose Freundin im Wald verschwanden.

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