Islamic Finance – ein Geschäft mit Gewissen?

Text: Michael Müller - Illustration Isabell Beck
Text: Michael Müller – Illustration Isabell Beck

Die Forderung nach moralischen Grundlagen für große Unternehmen ist längst salonfähig geworden. Mit der Hochfinanz ist es vor allem eine Branche, deren Ruf in den letzten Jahren erheblich gelitten hat. Unter dem Begriff „Islamic Finance“ versuchen sich seit mehr als vierzig Jahren Banken in der muslimischen Welt daran, Moral und Geld zu vereinen. Können wir von ihnen lernen?

Im Jahr 2008 warf der Zusammenbruch einer einzigen Bank ein neues Licht auf eine ganze Branche. Der Name Lehman Brothers wurde über Nacht zum Sinnbild für eine von Gier getriebene Finanzbranche, die alle moralischen Grundsätze hinter sich gelassen zu haben schien. Vor dem Hintergrund horrender Managergehälter und manipulierter Zinssätze begannen immer mehr Menschen nach einer Alternative zu einem Kapitalismus zu fragen, den sie als entfesselt wahrnahmen. Ein Konzept, das dabei immer wieder genannt wurde, war die Islamic Finance. Doch was ist unter dieser islamischen Art des Wirtschaftens zu verstehen?

Zuerst einmal ein Bankwesen, das mit den Regeln der Scharia übereinstimmt. Dieses islamische Recht leitet sich zu weiten Teilen aus den Regeln und Verboten in Koran und Sunna ab. Die Scharia gilt für alle Bereiche des Lebens, weswegen es einem gläubigen Muslim streng untersagt ist, mit einer Tätigkeit Geld zu verdienen, die gegen sie verstößt. Auf den ersten Blick ist es dabei nicht gut um einige der gängigsten Finanzgeschäfte bestellt. Zum Beispiel herrscht im Islam ein striktes Zinsverbot. Verträge sollen in erster Linie darauf beruhen, dass beide Seiten Gleichwertiges miteinander tauschen. Deshalb ist es ausgeschlossen, bei einem Darlehen mehr Geld zurückzuverlangen als zu Beginn vergeben wurde. Außerdem gilt das Verleihen von Geld als Geste der Mildtätigkeit, bei der eine Bezahlung unangemessen wäre. Islamischen Banken entgeht jedoch nicht nur das Kreditgeschäft. Auch auf Börsenspekulation müssen sie verzichten. Der Grund: das Glücksspielverbot im Koran. So deutliche Vergleiche klingen für westliche Ohren schon fast nach Kabarett.

Ein wachsender Markt

Heißt das nun, dass der Islam generell kapitalismusfeindlich ist? Die Antwort lautet: nein. Auch die islamische Wirtschaft geht davon aus, dass sich faire Preise am Markt aus Angebot und Nachfrage ergeben. Wie hoch diese Preise ausfallen dürfen, machen die Geschäftspartner untereinander aus. Dennoch haben die genannten Eigenarten dazu geführt, dass sich in den letzten Jahrzehnten ein ganz eigener islamischer Finanzmarkt gebildet hat. Den Anfang machte 1971 die „Nasser Social Bank“ in Ägypten, die als erste konsequent das Zinsverbot umsetzte. Inzwischen gibt es auf der ganzen Welt islamische Finanzinstitute sowie etliche nationale und internationale Organisationen, welche die Rolle einer religiösen Finanzaufsicht wahrnehmen. Dennoch haben verständlicherweise die meisten davon ihren Sitz in islamisch geprägten Regionen.

Doch auch im Westen steigt die Nachfrage nach Geldanlagen, die mit der Scharia vereinbar sind. Ein Grund dafür ist, vereinfacht gesagt, die Globalisierung. Immer mehr Muslime verlassen ihre Heimatregionen und leben dauerhaft in Ländern, die nicht von einer islamischen Kultur geprägt sind. Die Regeln des Korans gelten natürlich weiterhin für sie. Deshalb bieten auch immer mehr Banken in Europa entsprechende Produkte an, um diese Neukunden zu gewinnen. Im Jahr 2004 brachte sogar Sachsen-Anhalt als erstes Bundesland eine Art islamischer Staatsanleihe auf den Markt.

Ebenso erfreuen sich Produkte der Islamic Finance bei nicht-muslimischen Investoren immer größerer Beliebtheit. Das hängt vor allem mit zwei Gründen zusammen. Zum einen eröffnen sie sich so einen Weg auf die teilweise noch unerschlossenen Märkte islamisch geprägter Länder. Zum anderen können sie so eine breitere Palette an Geldanlagen anbieten. Mit diesem Mittel kann zum Beispiel bei größeren Fonds oder Portfolio das Risiko abwechslungsreicher und damit besser gestreut werden. Ist damit der islamische Kapitalmarkt dem westlichen Finanzwesen tatsächlich überlegen, wie es manch ein Kapitalismuskritiker hierzulande behauptet?

Kein Allheilmittel

So pauschal lässt sich das leider nicht sagen. Das hat unter anderem etwas damit zu tun, dass Islam nicht gleich Islam heißt. Die Streitlust verschiedener islamischer Richtungen macht auch vor dem Finanzwesen nicht halt. Deshalb herrscht zwischen den verschiedenen Aufsichtsgremien häufig Streit darüber, ob ein bestimmtes Produkt nun mit dem Koran vereinbar ist oder nicht. So erscheint ausländischen Investoren oft unklar, was sich nun genau hinter einem Produkt verbirgt und auf welchen Märkten es akzeptiert wird. Diese Unsicherheit macht umfangreiche Geldanlagen eher unattraktiv. Außerdem haben sich so etliche Formen von Umgehungsgeschäften entwickelt, mit denen die moralischen Grundlagen der Islamic Finance elegant ausgehebelt werden. Ein weiteres Problem, das vor allem Großinvestoren betrifft: Viele islamisch geprägte Staaten sind politisch instabil oder von undurchsichtigen autokratischen Strukturen geprägt. Auch das erhöht die Unsicherheit großer Investitionen.

Trotz allem lohnt sich auch im Westen ein Blick auf die Entwicklung der islamischen Wirtschaft. Dort finden wir eine mehrere Jahrzehnte andauernde Geschichte eines groß angelegten Finanzwesens, das die Moral zu einer wesentlichen Grundlage machen möchte. Dabei kam es zu Fehlern, aus denen unsere Gesellschaften lernen können. Doch vor allem zeigen jüngere Erfolge, dass die Verbindung von Ethik und ökonomischer Vernunft keineswegs reine Traumtänzerei ist. Allein in dieser Erkenntnis liegen für eine Gesellschaft auf der Suche sowohl Trost als auch Ansporn.

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