Zwischen Gründerstories und Erfolgsgeschichten – die Augsburger Start-up Szene

Wer in Augsburg ein Unternehmen gründet hat es nicht leicht, denn die AugsburgerInnen sind bekannt für ihre kritische Art – es heißt nicht umsonst: “wenns in Augsburg klappt, klappts überall!” Dieser Aussage wollten wir etwas genauer auf den Grund gehen. Deswegen haben wir uns in der Augsburger Gründerszene ein bisschen genauer umgehört und uns mit einigen Start-ups getroffen. Trifft der Slogan heute immer noch auf Zustimmung? Und wie ist es eigentlich ein Start-up zu gründen? Wir haben es für Euch herausgefunden.

Unser erstes Interview haben wir mit Boxbote Mitgründer Raimund Seibold geführt. 

©Boxbote

Boxbote – ein Start-up, das in Augsburg nicht mehr wegzudenken ist.

Das Start-up Unternehmen “Boxbote” wurde 2015 von Raimund Seibold und drei weiteren Partnern gegründet. Die Idee dahinter: einen umweltfreundlichen Lieferdienst für die Fuggerstadt, ein “regionales Amazon” zu kreieren. Angefangen hat alles mit Essenslieferungen für Augsburger Restaurants. Dies wurde von den Augsburgern gut angenommen und mittlerweile liefert Boxbote ein breites Spektrum, von Medikamenten bis hin zu Werkzeugen. Das Unternehmen ist immer weiter gewachsen und hat es am Start-up Himmel ganz nach oben geschafft.

Aber wie schafft man es mit einem Start-up erfolgreich zu werden und was hat es eigenttlich mit dem Namen und dem Logo auf sich? Diese und mehr Fragen haben wir Raimund Seibold gestellt und ihn zu seiner Gründungsgeschichte und seinem Start-up interviewt.

Raimund Seibold ist momentan sehr eingespannt, deshalb freuen wir uns umso mehr, dass er die Zeit für ein Interview mit uns einrichten konnte.

Hallo Raimund Seibold, stell dich am Besten einfach kurz vor, damit wir dich besser kennenlernen können.

Hallo, ich heiße Raimund, mit Spitznamen Ray genannt…in vielen Medien werde ich immer als Ray Seibold betitelt, was aber nicht stimmt (lacht). Ich bin 34 Jahre alt und absolutes Augsburger Kind. Ich wohne seit über 10 Jahren hier in Augsburg und bin in der Umgebung groß geworden. Angefangen habe ich meine berufliche Laufbahn mit einer klassischen Ausbildung bei BMW. Dort wurde ich dann auch übernommen. Von BMW bin ich dann in die Lebensmittelindustrie gewechselt. Mit 30 Jahren hatte ich dann schon 15 Jahre Berufserfahrung. Über die Jahre war ich sowohl im Einkauf, im Marketing als auch im nationalen und internationalen Verkauf tätig. Aber in allen Bereichen war ich schnell gelangweilt. Außerdem hatte ich schon immer sehr ambitionierte Ziele vor Augen. Ich hatte aber in jeder Firma meine Kämpfe mit den Vorgesetzten. Deshalb war für mich schon schnell klar, dass ich mich selbständig machen will.
Unser Startup Boxbote habe ich dann im Jahr 2015 mit drei weiteren Jungs gegründet. Drei von uns waren damals noch in ihren Jobs tätig. Ich war beispielsweise bei Ehrmann im Allgäu als Exportleiter angestellt, mein Kollege Hans war bei Fujitsu im Unternehmen. Mein anderer Kollege Stephan war bei Dachser angestellt und der vierte im Bunde hat in Schwäbisch Gmünd Produktdesign studiert. 
2015 haben wir Boxbote eigentlich ein bisschen „just for fun“ gegründet…mehr oder weniger aus der Laune heraus (lacht). Es war cool, zu gründen und wir sind auf diesen Zug auch aufgesprungen. Trotzdem hatten wir damals schon die feste Motivation, uns in ein paar Jahren damit selbständig zu machen. 2015 und 2016 war Boxbote für uns eher ein Hobby – ein sehr zeitintensives Hobby. Dann haben wir festgestellt, wenn wir Boxbote irgendwann zum Fliegen bringen wollen, dann müssen wir es Vollzeit betreiben und dafür haben wir dann unsere Jobs aufgegeben. 

Boxbote Mitgründer Raimund Seibold ©Boxbote
Für alle die Boxbote noch nicht kennen. Was genau macht ihr?

Boxbote ist in naher Zukunft ein regionales Amazon. Wir versuchen die Stadt zu digitalisieren. Boxbote soll eine Plattform bieten, die wie eine Art Suchmaschine funktioniert – ein regionales Google. Du sollst über Boxbote dein Essen, deine Getränke oder deine Medikamente bestellen können. Außerdem sollst du auch AVV-Tickets oder Theater Tickets bestellen können oder Öffnungszeiten von Bädern oder anderen öffentlichen Einrichtungen finden. Letztendlich wollen wir die Stadt organisiert und verfügbar auf einer Plattform anbieten. Wir sind in erster Linie ein Marktplatz mit eigener CO2-Freien Logistik. Ich würde uns weniger als Lieferdienst bezeichnen.

©Boxbote
Wie viele Mitarbeiter beschäftigt ihr zur Zeit?

Momentan existieren wir ja nur in Augsburg. Ich sage bewusst „nur“, weil wir schon konkrete Expansionspläne haben (lacht). Wir werden nächstes Jahr bestimmt in ein bis zwei weitere Städte gehen, um das Geschäftsmodell auszurollen. Für Augsburg haben wir tatsächlich schon eine stattliche Größe. Gerade haben wir sechs festangestellte im Back Office und 60 – 70 Fahrrad-Kuriere, die für uns unterwegs sind. Wir haben sehr viele Minijobber, Studenten und Azubis aber auch diverse Festangestellte und in Teilzeit Angestellte. Aber rein von den Köpfen her sind es zwischen 70-80 Mitarbeiter.

Augsburg ist bekannt für den Slogan “Wenns in Augsburg klappt, klappts überall”. Die kritische Haltung der Augsburger macht es Neugründungen in der Stadt nicht immer leicht. Warum habt ihr Euch trotzdem ausgerechnet Augsburg als Standort für euer Start-up ausgesucht? 

Erstmal muss ich sagen, dass Augsburg sich durchaus weiterentwickelt hat. Meine Generation ist schon nicht mehr ganz so kritisch, wie man es den klassischen Augsburgern unterstellt (lacht). Ich habe einen relativ großen Freundeskreis und komme deshalb auch in viele andere Städte wie zum Beispiel Frankfurt, Köln, Berlin oder München. Da merkt man schon, dass die Leute in diesen Städten Neugründungen und Start-ups ein bisschen offenerer gegenüber stehen. In Augsburg ist es trotz des Generationenwandels immer noch so, dass eine gewisse Skepsis gegenüber Start-ups existiert – so eben auch gegenüber Boxbote. Ich bin viel mit der Stadt Augsburg in Kontakt, mit Unternehmen aus der Region und habe mit den Endkunden zu tun und kann somit von allen Fronten berichten und definitiv sagen, dass sich diese Skepsis gegenüber Boxbote sehr lange gezogen hat und wir eigentlich erst im vierten Jahr unserer Gründung ernst genommen wurden.
Also kann ich sagen: ja, Augsburg ist mit Sicherheit noch eines der schwierigsten Pflaster in Deutschland um zu gründen, aber die Stadt wird immer innovativer und immer mehr open-minded.

©Boxbote
Ihr habt letztes Jahr von vielen Seiten Unterstützung bekommen. Unter anderem von Eva Weber mit der „Shop and drop“ Aktion und momentan kooperiert ihr auch mit vielen Influencern aus Augsburg. Inwieweit hat das dazu geführt, dass ihr mittlerweile ernst genommen werdet bzw. überhaupt wahrgenommen werdet?

Erstmal musst du sehr sehr sehr engagiert sein, damit Leute dich wahrnehmen. Das heißt, Veranstaltungen besuchen, überall präsent sein, überall mitmachen. Da bringt es wenig, sich in seinem Büro zu verkriechen. Du musst PR betreiben und Präsenz zeigen, das ist extrem wichtig.
Letztes Jahr haben wir die „Shop and drop“ Aktion eingeführt, bei der Eva Weber die Schirmherrin des ganzen Projekts war. Wir bieten mit „Shop and drop“ einen Service für zwei Jahre kostenlos an, welcher mit 20.000€ im Jahr von der Stadt subventioniert wurde. Diese 20.000€ sind aber schneller weg als du schauen kannst (lacht). Für uns war diese Aktion also eher ein Marketing Invest, um den Leuten zu zeigen, dass dieser Service existiert und man ihn auch nutzen sollte. 
Mit dieser Aktion haben wir es auf jeden Fall geschafft in die Köpfe der Menschen zu kommen.

Neben den großen Gründerstädten wie München, Hamburg und Berlin wirkt Augsburg noch eher unscheinbar zum Gründen. Wie gut ist die Start-up Szene in Augsburg, seid ihr gut miteinander vernetzt? 

Also prinzipiell ist die Szene in Augsburg noch sehr zurückhaltend. Hier ist man es nicht gewohnt, auf Start-up Veranstaltungen zu gehen. Mittlerweile gibt es jetzt in Augsburg das Rocketeer Festival, auf dem wir mit Boxbote letztes Jahr auch sehr groß vertreten waren. Aber es würde in Augsburg sicherlich noch Platz für weitere Formate und Veranstaltungen geben. In München beispielsweise kannst du jedes Wochenende, wenn kein Corona ist, auf eine Start-up Veranstaltung oder ein Gründerevent gehen, in Augsburg ist das weniger möglich. 
Wenn du in der Gründerszene drin bist, so wie ich, dann fühlt es sich nicht so an, als ob man keinen Zugang hat…Wenn du aber nicht vernetzt bist, ist es in Augsburg auf jeden Fall schon schwieriger und es dauert länger, bis du ein Netzwerk aufgebaut hast. Man muss sich eben bemühen und über Kanäle wie LinkedIn oder Xing sich ein Netzwerk aufbauen, Veranstaltungen besuchen und auch mal Hilfe anbieten oder Hilfe annehmen. Aber mit Sicherheit ist es in anderen Städten einfacher ein Netzwerk aufzubauen. 

Du bist auch Mentor an der Hochschule in Augsburg. Wie genau sieht deine Arbeit da aus?

Genau, ich bin zum einen Mentor bei Start-up Teens und Teil des “gP Mentoring“ Programms der Hochschule Augsburg. Beim „gP Mentoring“ betreue ich ein Jahr lang einen Studenten oder eine Studentin. Für dieses Jahr sind wir schon fast am Ende des Mentorings angelangt. Mir macht es jedes Jahr super viel Spaß und der Kontakt mit den jungen Leuten hält mich auch einfach fresh im Kopf.  Ich bekomme mit, wie die jungen Leute ticken, was sie für Ideen haben, wie sie an Sachen ran gehen und bin auch immer wieder geflasht wie gut diese Ideen doch auch sind. Mein diesjähriger Menti arbeitet jetzt auch bei uns und unterstützt uns im Bereich Technologie.
Das ganze Projekt läuft so ab, dass man sich zum Anfang ein Ziel setzt, das man im Laufe des Jahres erreichen möchte. Ich stehe den StudentInnen dann zur Seite, gebe ihnen Feedback oder Impulse und sorge dafür, dass am Ende des Jahres das Ziel auch erreicht wird. In das Unternehmer Business muss man reinwachsen. Viele haben anfangs unbegründete Ängste wie beispielsweise Termine beim Notar oder beim Steuerberater.  Und dabei helfen dann wir als Mentoren und stehen den Studenten und Studentinnen dabei zur Seite.

©Boxbote
An der Hochschule gibt es den „Hörsaal der Löwen“ und an der Uni ähnliche Programme. Wie wichtig findest du es, dass die Uni Unternehmensgründungen unterstützt? 

Ich bin Teil der Jury beim „Hörsaal der Löwen“ der Hochschule und auch an der Uni beim Augsburg Center for Entrepreneurship (ACE) habe ich schon im Jahr 2016 Vorträge gehalten. Generell habe ich ein sehr gespaltenes Verhältnis zum Bildungssystem. Bei mir zum Beispiel hat die Schule voll gefailt (lacht). Ich war in keinem Fach der Einserschüler, war nirgendswo richtig gut – aber überall gut (lacht). Man konnte mich schon immer schnell für Sachen begeistern und da habe ich mich dann auch sehr reingebissen. Das wurde von meinen Lehrern aber nie wirklich gesehen.
Und meiner Meinung nach versuchen auch Hochschulen und Universitäten die Studierenden eher auf den späteren Job bei der Allianz oder bei BMW vorzubereiten. Sie schauen nicht darauf, was du für ein Typ Mensch bist, ob du eher ein Arbeitnehmer oder Arbeitgeber bist. Wenn ich feststelle, dass jemand ein klassischer Freigeist ist, dann wird er meiner Meinung nach nicht lange an der Hochschule oder Uni bleiben. Außerdem müssten viel mehr Firmen in die Universitäten und Hochschulen gehen, um zu berichten, wie es im echten Leben in Unternehmen zu geht.

“Wenn dein Ziel ist Millionär zu werden, dann spiel Lotto.”

Raimund Seibold
Wie seid ihr finanziell aufgestellt gewesen als ihr Boxbote gegründet habt? Hattet ihr Investoren oder andere Geldgeber?

Unser Startkapital waren genau 5000€. Damit haben wir unsere ersten AGBs machen lassen und den Notar gezahlt. Danach waren wir direkt wieder insolvent (lacht). Wir haben alles selbst gemacht, sind die Strecke selbst mit dem Fahrrad gefahren, haben private Laptops benutzt und saßen bei meinem Mitgründer Hans in der Küche. Wir hatten weder Kredite, noch Investoren oder Family and Friends Kredite. Wir waren alle noch in unseren Jobs als wir Ende 2016 überlegt haben, ob wir mit Boxbote Geld verdienen können und mussten das dann leider knallhart mit „nein“ beantworten – zumindest nicht in den ersten 10 Jahren. Unser Geschäftsmodell ist ein Wachstumsgeschäftsmodell, was bedeutet, dass du eine sehr hohe kritische Masse erreichen musst, damit eine Kostendegression eintritt. Deshalb haben wir geschaut, was andere Firmen gemacht haben und uns überlegt, wie wir unser zunächst defizitäres Geschäftsmodell mit einer anderen Dienstleistung quersubventionieren können. Also haben wir angefangen, Marketing an unsere Boxbote Partner zu verkaufen. Das lief dann so gut, dass wir eine Agentur gegründet haben, die dann so viel Geld abgeworfen hat, damit wir Boxbote weiter finanzieren und aufbauen konnten.

Wie seid ihr auf den Namen Boxbote gekommen?

Der Name war für uns elementar wichtig. Mit dem Namen bildest du nämlich erstmal dein Geschäftsmodell ab. Wir haben für uns gedacht, dass wir in unserem Namen so neutral sein wollen, sodass wir unseren Pitch auch perspektivisch abbilden können. Boxbote stellt einfach gesagt eine Box dar, die dir ein Bote bringt. Da kann alles drin sein, von Essen und Trinken über ein Hemd und Schuhe… Außerdem haben wir uns auch vom Postboten inspirieren lassen, was den Namen betrifft.

Wir wollten außerdem auch, dass unser Namen auch im angelsächsischen verstanden wird. Es passiert ja auch oft, dass du einen Namen hast und die Engländer können diesen aber einfach nicht aussprechen, weil der Name für sie ein Zungenbrecher ist.
Auf der anderen Seite sollte man den Namen auch noch mit 2 Promille aussprechen können, sodass andere ihn noch verstehen (lacht). Das sind alles so Sachen bei denen man aufpassen muss. Wenn der Name erstmal eingetragen ist und man anfängt ihn zu vermarkten, wird es extrem schwer, davon wieder wegzukommen. Deswegen haben wir da zunächst ganz viele coole Namen gehabt und überlegt, welcher es dann letztendlich wird.

©Boxbote

Wenn man sich jetzt unser Logo anschaut, sieht man ein kleines Kistchen mit einer Schleife dran – ein Geschenk, das wirkt schon mal sympathisch. Auf der anderen Seite könnte man dort auch ein weißes Hemd mit einer Fliege sehen, quasi ein Concierge, der dir deine Wünsche von den Augen abliest. Das ist so die Idee hinter dem Logo und dem Namen.

Wo siehst du Boxbote in 5 Jahren?

Ich sehe Boxbote auf jeden Fall in den Top 50 Städten in Deutschland und vielleicht auch in einer großen Stadt im Ausland.

Habt ihr ein Erfolgserlebnis auf das ihr stolz zurückblicken könnt?

Wir sind jetzt mittlerweile im fünften Jahr und arbeiten immer noch alle zusammen, es sind immer noch alle Gründer an Bord. Und haben noch keinen einzigen Prozentsatz unserer Anteile abgegeben. Oftmals zerstreiten sich die Gründer oder trennen sich. Das ist bei uns nicht der Fall und darauf bin ich sehr stolz.

Vielen Dank Raimund Seibold für das spannenden Interview, die Einblicke in euren Gründungsweg und die Geschichte hinter Boxbote.