“Wir haben den Tod politischer Arbeit an der Uni zu befürchten”

©Philipp Gaag

Im Herbst veröffentlichte das Wissenschaftsministerium ein Eckpunktepapier zur geplanten bayerischen Hochschulreform. Seitdem wird die Reform von Seiten der Hochschulen mit Kritik überschüttet – eimerweise.

Die demokratischen Strukturen der Hochschulen würden abgebaut, die Uni werde zum privatwirtschaftlichen Unternehmen und der Erhalt der Geistes- und Sozialwissenschaften sei in Gefahr. Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die Initiative der Geistes- und Sozialwissenschaften protestierten gegen die Planungen, Professor:innen an bayerischen Universitäten antworteten mit einem offenen Brief, die Landes-ASten-Konferenz (LAK) Bayern mit der Formulierung einer alternativen Hochschulvision. Aber um was geht es in der Reform überhaupt?

In mehreren YouTube-Live-Streams stellte Wissenschaftsminister Sibler die geplante Hochschulreform vor vier- bis fünftausend Zuschauer:innen vor. Er wollte Kritiker:innen beruhigen und wurde nicht müde zu betonen, wie sehr ihm – als ausgebildetem Lehrer für Deutsch und Geschichte – die Geisteswissenschaften am Herzen lägen. Nichts als Lippenbekenntnisse, wurde in den Kommentaren geantwortet. Wo wird das im geplanten Gesetz verankert? Auch Manuel Bühlmaier bleibt kritisch. Er studiert Sozialwissenschaften im achten Semester und engagiert sich in der GEW Hochschulgruppe. Die geplante Hochschulreform „liege ihm ganz schön im Magen“, sagt er. Warum, erklärt er in unserem Gespräch.

©GEW Hochschulgruppe Augsburg

presstige: Im Eckpunktepapier zur Hochschulreform wird sehr viel von Freiheit gesprochen. Dort heißt es: „Ziel ist die größtmögliche Freiheit für und in den bayerischen Hochschulen“. Was ist eurer Meinung nach mit dieser Freiheit gemeint?

Manuel Bühlmaier/GEW: Wir wissen, was in diesem ideologischen Kontext für die CSU mit Freiheit gemeint ist: Die Unabhängigkeit der Universitäten von staatlicher Planung. Wir sind uns aber sicher, dass die Hochschulreform in dieser Form keine Freiheit für die Universitäten bringen würde. Sie wird zu Zwang führen, zu einer Wahlunfreiheit. Universitäten sollen in Zukunft zwischen der massiven finanziellen Einschränkung einerseits und dem Verkauf an wirtschaftliche Privatinteressen andererseits entscheiden. Das ist die Wahlunfreiheit vor die Universitäten und Hochschulen gestellt werden, wenn dieses Gesetz so durchkommt, wie es im Moment auf dem Tisch liegt. Wir würden das nicht als tatsächliche Freiheit bezeichnen, sondern als ökonomischen Zwang.

Du sprichst damit an, dass sich Hochschulen zukünftig entscheiden können sollen, ob sie staatliche Einrichtungen bleiben oder zu reinen Personalkörperschaften des öffentlichen Rechts werden. Entscheiden sie sich dafür ihre Rechtsform zu ändern, würde ihnen ein Globalbudget zugewiesen werden, mit dem sie eigenständiger wirtschaften können.

Wir sehen hierin keine „freie Wahl“. In Zukunft werden Hochschulen wahrscheinlich unterfinanziert sein und dann vor die Wahl gestellt werden, bestimmte Aspekte ihrer Tätigkeit einzustellen oder sich über andere Mittel zu finanzieren und tatsächlich eine ständige Partnerschaft mit der Privatwirtschaft einzugehen. Es wird eine Konsequenz sein, dass elementar wichtige Fächer, die nicht so leicht wirtschaftlich verwertbar sind, Sozialwissenschaften, Philosophie oder Sprachwissenschaften zum Beispiel, bei einem Globalbudget hintenanstehen werden, wenn eine Finanzierung von außen notwendig wird.  Die Hochschulen, deren Finanzierung zu einem Teil aus der Privatwirtschaft kommt, müssen darauf achten, wirtschaftlich verwertbar zu sein. Das heißt, dass wirtschaftswissenschaftliche und technologische Fächer eine Priorisierung in der Finanzierung haben werden. Und es wird dazu führen, dass geisteswissenschaftliche Fächer noch stärker unterfinanziert sein werden als sie es jetzt schon sind.

Ein anderer Punkt der Hochschulreform ist das Gesamtlehrdeputat. Hochschulen sollen freier über die Aufteilung der Lehre entscheiden dürfen. Befürchtet ihr hier einen ähnlichen Mechanismus, der die geisteswissenschaftlichen Fächer benachteiligen könnte?

Das ist eine Befürchtung, ja. Ein anderer Punkt ist, dass Dozentinnen, Lehrerinnen und Lehrer noch stärker belastet werden, als sie es jetzt schon sind. Es ist derselbe Mechanismus: Die Hochschule muss sich wirtschaftlich attraktiver machen. Dass die Hochschulen die Lehrverpflichtung flexibler gestalten können, bedeutet praktisch eine stärkere Belastung der Einzelnen.

Es ist nicht so, dass wir keinen Reformbedarf an unseren Hochschulen sehen – es besteht durchaus Redebedarf. Aber die Reform geht exakt in die falsche Richtung. Wir treten ein für Demokratisierung, Partizipation und die Möglichkeit, in Ruhe wissenschaftliche Arbeiten fortzuführen. Und das ist ja auch der wissenschaftliche Stand: Wissenschaftliches und kreatives Arbeiten funktionieren am besten ohne wirtschaftliche Zwänge. Das ist doch bekannt und anerkannt. Dass das Wissenschaftsministerium das genaue Gegenteil davon umsetzen will, finde ich nicht nur erstaunlich, ich finde es absurd.

Hochschulen werden allerdings auch dafür kritisiert sich in bürokratischen Stricken zu verwirren und zu langsam zu agieren. Mehr Eigenverantwortung soll die Hochschulen handlungs- und wettbewerbsfähiger machen.

Die Reform ist darauf ausgelegt die Konkurrenz zwischen den Hochschulen und auch zwischen den einzelnen Fachbereichen der Hochschulen zu verstärken. Das erhöht nicht nur den Druck auf den einzelnen Wissenschaftler und den einzelnen Lehrenden, der sowieso schon unter enormen Druck steht. Es würde auch zu einer verminderten Kooperation zwischen den Hochschulen führen, wie das beispielsweise in den USA der Fall ist. Der Vernetzungsgrad von Hochschulen in Systemen wie den USA, wo diese Institutionen im Endeffekt schon komplett privatwirtschaftlich sind, ist sehr viel geringer als es bei uns der Fall ist. Wir fürchten, dass durch diese Ökonomisierung wichtige Aspekte des Hochschullebens und der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung der Hochschulen zurückgedrängt werden.

©Manuel Bühlmaier

Du hast die gesamtgesellschaftliche Verantwortung angesprochen. Der Nutzen für die Gesellschaft durch „Transfer“ wird im Eckpunktepapier stark betont. Er soll neben Lehre und Forschung zukünftig zum Dreiklang der Hochschulen zählen. Wissenschaftsminister Sibler betont, dass es sich dabei nicht nur um ökonomischen, sondern auch um ökologischen, technischen und sozialen Transfer handeln soll.

Würde es sich tatsächlich um diesen vielfältigen Transfer handeln, dann bräuchten wir doch gar keine Neudefinition davon. Im bisherigen Hochschulrahmengesetz haben wir bereits festgeschrieben, dass die Hochschulen verpflichtet sind, ihr erarbeitetes Wissen der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Daneben haben sie den Auftrag, Berufsfähigkeit zu vermitteln. Es ist überflüssig das nochmal durch die Hervorhebung des Transfers zu betonen. Wir lesen aus dieser Gesetzesvorlage heraus, dass in Zukunft eher ein Fokus auf wirtschaftlich verwertbare Technologien gelegt wird als auf „abstrakte“ Themenfelder wie Erkenntnisse aus der Sozialwissenschaft, der Geschichte oder der Philosophie.

Ein anderer großer Punkt, der von vielen Kritiker:innen angebracht wird, betrifft die interne Governance. Viele fürchten, dass Fakultäten aufgelöst werden und Präsident oder Präsidentin zu viel Macht haben werden. Ist das auch eure Sorge?

Ja, das ist auch unsere Sorge. Im Hochschulgesetz sollen zwei Punkte vorgegeben werden: Zum einen, dass wir eine Hochschulleitung haben, zum anderen, dass Raum für externes Expertenwissen geschaffen wird. Also eine fixe Stelle für einen Präsidenten und eine fixe Stelle für einen – im Prinzip – Wirtschaftsberater. Der Rest wäre der Universität selbst überlassen. Wir fürchten, dass die (auch im Moment schon problematische) Beteiligung von Studenten am Unileben und von Arbeiternehmern an ihrem Arbeitsplatz unter massiven Beschuss gerät.

Wir haben ja im Moment schon ein Problem damit, dass politischer Widerstand an Universitäten zugelassen und dann auch ernst genommen wird. Nehmen wir die bisherigen Strukturen komplett weg, erlauben wir der Universität sich so zu formieren, dass es praktisch keine demokratische Beteiligung mehr gibt. Wir haben den Tod politischer Arbeit an der Uni zu befürchten. Und nicht nur das: Dadurch, dass wir heute wissen, dass wissenschaftliches Arbeiten von demokratischen Prozessen nicht nur profitiert, sondern dass diese essenziell dafür sind, nehmen wir auch hier eine Abnahme der Qualität der Forschung und Lehre in Bayern in Kauf.

Jedoch soll ein Landesstudierendenbeirat in der geplanten Hochschulreform festgeschrieben sein. Wäre das denn ein Punkt, den ihr begrüßt?

Eine Studierendenvertretung im kompletten Bundesland wäre sicher ein interessantes Konzept. Nur wird in der Hochschulreform dieser Instanz keine direkte politische oder demokratische Einflussnahme zugesichert. Es scheint, als würde ein Gremium für Studierende geschaffen, das dann und wann repräsentative Aufgaben übernimmt, aber über das keine politische Einflussnahme ermöglicht wird. Das ist Symbolpolitik.

Eine Forderung der GEW ist eine stärkere Einbindung der Studierenden in die vorhandenen demokratischen Strukturen. Wir streben eine Parität in der Hochschulleitung zwischen Studierenden und bisherigen Mitgliedern der Unileitung an. Das gibt es auch schon in anderen Bundesländern und in anderen Staaten. Darüber würden wir gerne reden und unsere Konzepte in eine Hochschulreform einfließen lassen – man fragt uns halt nicht.  In anderen Bundesländern, in Baden-Württemberg, Hamburg und Thüringen zum Beispiel, wurden alle Parteien zur Diskussion an einen Tisch gebracht, bevor eine Reform beschlossen wurde, auch Studierendenvertretungen und Arbeitsverbände. Diese Reformen sind auch kritikwürdig, gerade die in Baden-Württemberg, aber viel problematischer ist es, eine Hochschulreform, gerade eine von derart neoliberalem Charakter, vor den Latz geknallt zu kriegen.

Neben vielen anderen Kritiker:innen beurteilte auch unsere Präsidentin Prof. Dr. Döring-Manteuffel den Zeitplan der Reform negativ. Obwohl mit der Reform schon im Oktober 2019 begonnen wurde, wurde erst ein Jahr später bekannt, wie umfassend die Änderungen sein sollten – also mitten in den digitalen Semestern. Sollte die Reform erstmal auf Eis gelegt werden?

Definitiv, ja. Wir müssen die Möglichkeit schaffen, dass sich alle Akteure des Hochschullebens mit den Inhalten der geplanten Reform auseinandersetzen, ihre Interessen konsolidieren und vortragen können. Und dass sie dann auch gehört werden. Da das in der Corona-Pandemie nicht so umfassend möglich ist, sollten wir warten bis so tiefgreifende Veränderungen durchgeführt werden.

Wissenschaftsminister Sibler hat die Reform bisher dreimal im YouTube-Live-Stream vorgestellt und ausgewählte Fragen dazu beantwortet. Begrüßt ihr dieses Format?

Echte Mitsprache wäre, wenn wir Vertreter an den Arbeitstischen hätten. Wenn wir Möglichkeiten hätten, darüber abzustimmen. Andere Bundesländer kriegen das, wie vorhin erwähnt, auch hin. Ein vorbereiteter Vortrag und Q&A, das nur ausgewählte Fragen zulässt, sind keine echte Mitsprache.

Gibt es denn auch Punkte in der Reform, die von der GEW unterstützt werden?

Es gibt durchaus positive Punkte wie Diversität, Nachhaltigkeit oder dass der umfassende Lehrauftrag erhalten werden soll. Das sind aber wenige Punkte in einem langen Papier. Diese Dinge sollte man durchführen. Im Tonus der restlichen Reform wirken sie aber wie Platituden. Wie Balkondekor für ein sehr schiefes Haus.

Auch ein Kaskadenmodell soll eingeführt werden und damit der Frauenanteil an bayerischen Hochschulen erhöht werden – mit 20% Professorinnen ist Bayern Schlusslicht in der Bundesrepublik.

Das stimmt vollkommen. Wir müssen an unseren Hochschulen für die Gleichberechtigung sorgen, die diese über die letzten Jahrzehnte verschlafen haben. Das ist eine der größten Ungerechtigkeiten, die im Hochschulbetrieb vorherrschen und auch einer der größten Stolpersteine gesunder wissenschaftlicher Arbeit. Durch die Ausklammerung von Frauen im Professoren- und Lehrbetrieb verzichten wir auf einen elementaren gesellschaftlichen Blick. Wir haben uns damit wahrscheinlich Jahrzehnte an wissenschaftlichem Fortschritt verbaut. Das muss angegangen werden, definitiv. Aber auch hier ist der Kontext wichtig und die Verarbeitung im Papier eines extrem neoliberalen Tonus lässt an der Ernsthaftigkeit des Vorschlags zweifeln. Genau das gleiche gilt für Klimaschutz und Nachhaltigkeit: Wollen wir das umsetzen, dann sollten diese Anstrengungen nicht mit ökonomischen Interessen konkurrieren müssen.

Im Herbst letzten Jahres habt ihr gegen die geplante Reform auf dem Rathausplatz protestiert. Erst letztens gab es im Februar wieder Demonstrationen der GEW Bayern. Wurde bisher nicht auf eure Forderungen eingegangen?

Es wurden bestimmte Passagen herausgenommen, die besonders kontrovers waren. Manche Forderungen wurden entschärft, sind aber noch implizit enthalten. Auf jeden Fall ist nicht genug passiert. Die Reaktionen des Wissenschaftsministeriums basieren nicht auf einem Gesprächsangebot, bei dem wir mitreden dürfen, sondern passieren aus der Angst heraus, dass noch größerer Widerstand gegen sie entsteht. Wir werden als Protestaktion gehört und nicht als die gesellschaftlichen Akteure, die wir sind.

Was rätst du Studierenden, die das Interview gelesen haben und sich mit euch gegen die geplante Reform einsetzen wollen?

Wir werden mit allen Möglichkeiten, die wir haben, dagegen kämpfen, dass diese Hochschulreform so durchkommt, wie sie jetzt vorliegt. Wir haben Petitionen am Laufen und viele Aktionen geplant, die wir je nach Corona-Lage umsetzen werden. Jede Leserin und jeder Leser dieses Interviews hat die Möglichkeit sich durch uns Gehör zu verschaffen. Ihr findet uns auf Instagram @gewstudisaux, auf Facebook oder YouTube. Wir brauchen genau die und denjenigen, der gerade dieses Interview liest!