Der Tod ist ein Tabuthema, über das in unserer Gesellschaft nicht gerne gesprochen wird. Kaum jemand möchte sich mit dem Tod und dem Sterbeprozess beschäftigen. Auch unter Studierenden ist dies kein häufiges Gesprächsthema. Immerhin sind wir jung und der Tod scheint noch so fern.
Was aber tun, wenn Angehörige unheilbar erkrankt sind? Was tun, wenn wir selbst schwer verletzt sind und vielleicht nicht mehr leben wollen? Wenn das Leben nicht mehr lebenswert scheint? Dies sind Themen, mit denen wir uns beschäftigen sollten, Themen die wichtig sind, Themen, die wir nicht unseren Angehörigen allein aufbürden sollten.
Deshalb ist es wichtig, dass sich auch junge Menschen mit Sterbehilfe auseinandersetzen. Es kann jeden betreffen – auch Studierende.
Was ist Sterbehilfe?
Zum einen gibt es den assistierten Suizid. Dies ist die straflose Teilnahme am Suizid eines geistig wachen Menschen, indem man beispielsweise Schlafmittel für den Suizidenten besorgt. Der Suizidhelfer verabreicht diese Medikamente jedoch nicht. Der Sterbewillige nimmt das Schlafmittel selbst ein.
Die wohl umstrittenste Art der Suizidhilfe ist die aktive Sterbehilfe. Bei dieser Form wird der Tod eines Menschen aktiv herbeigeführt. Dies kann durch Medikamente oder Spritzen erfolgen, die der betroffenen Person aktiv vom Suizidhelfer verabreicht werden.
Bei der passiven Sterbehilfe werden lebenserhaltende Maßnahmen nicht aufgenommen oder abgebrochen, was zum Tod des Patienten führt.
Die letzte Form ist die indirekte Sterbehilfe. Hier werden einem Menschen starke Schmerzmittel verabreicht. Der behandelnde Arzt handelt ohne Tötungsabsicht, nimmt aber in Kauf, dass der Patient als unbeabsichtigte Nebenwirkung sterben könnte.
Verbot der Sterbehilfe
Die letzten drei Sterbehilfearten waren bis zum letzten Jahr durch den § 217 des Strafgesetzbuches verboten, wenn sie geschäftsmäßig erfolgen. Dies umfasst nicht nur Sterbehilfevereine wie in den Niederlanden, sondern auch die Förderung des Suizids durch medizinisches Personal.
§ 217 StGB: Geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung
(1) Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Als Teilnehmer bleibt straffrei, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und entweder Angehöriger des in Absatz 1 genannten anderen ist oder diesem nahe steht.
Im Jahr 2020 hat das Bundesverfassungsgericht schließlich den 2015 verabschiedeten Paragrafen für verfassungswidrig erklärt. Mit diesem Urteil gilt die Norm nicht mehr.
Das Bundesverfassungsgericht darf als einziges Gericht in Deutschland Gesetze für verfassungswidrig und damit für nichtig erklären. Die seit 2015 geltende Regelung des § 217 StGB verstoße gegen das im Grundgesetz gewährte Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagen die Verfassungsrichter. Aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gehe dieses Recht hervor. Das heißt, dass der Staat menschliches Leben nicht um jeden Preis erhalten darf, sondern die Menschen selbst entscheiden dürfen, wann sie sterben wollen. Dies garantiere die menschliche Würde, sagen die Verfassungsrichter.
Der Gesetzesentwurf
Mit der Nichtigerklärung des § 217 StGB liegt eine Neuregelung der Sterbehilfe nahe. Diesem Thema haben sich die Augsburger Rechtswissenschaftler Ulrich Gassner und Josef Franz Lindner gemeinsam mit Münchner und Hallenschen Kolleg*innen angenommen. “Die Regelungslandschaft in diesem Bereich ist sehr unübersichtlich”, sagt Lindner. Dies sei einer der Gründe, weshalb er sich mit dem Thema beschäftigt habe. Gassner fügt hinzu: “Ich fand es aus biopolitischer Sicht ziemlich übergriffig, dass sich ein angeblich freiheitlicher Staat mit § 217 StGB anheischig macht, es Sterbewilligen zu erschweren, eine Methode ihrer Wahl [zum Sterben] in Anspruch zu nehmen.”
Sie haben einen Gesetzesentwurf formuliert, mit dem auf Bundesebene die Sterbehilfe geregelt werden soll. Dieser Vorschlag solle dabei nicht einfach den § 217 StGB ersetzen, vielmehr seien Fragen wie die Suizidassistenz umfassend geregelt, sagt Lindner.
Nach den Vorstellungen der Rechtswissenschaftler*innen soll zum ersten Mal das Recht auf selbstbestimmtes Sterben und der Begriff des Suizids schriftlich in einem Gesetz fixiert werden. Darüber hinaus regelt der Entwurf den Behandlungsverzicht seitens Patienten, wann aktive und indirekte Sterbehilfe erlaubt sind und steckt rechtliche Rahmenbedingungen ab. So soll eine Kommission aus unabhängigen Expert*innen verschiedener Fachrichtungen entstehen, die das Anliegen des Suizidenten prüft. Anders als in den Niederlanden wird die Kommission nicht erst aktiv, wenn der Patient verstorben ist, sondern bearbeitet den Fall im Voraus.
Im letzten Abschnitt werden Suizidprävention und die Unterstützung von Menschen mit psychischen Problemen geregelt.
Angehörige haben nur im Betreuungsfall im Rahmen des Betreuungsrechts ein Mitspracherecht, wenn der Suizident sterben möchte. Dies liege daran, dass Sterben eine höchstpersönliche Entscheidung sei, sagt Gassner. “Es ist grundsätzliche Sache des Sterbewilligen, ob er Familienangehörige mit einbindet oder nicht”, sagt er.
In § 9 des Gesetzentwurfs ist die Zusammensetzung einer unabhängigen Kommission geregelt. Ihr sollen zwei unbeteiligte ärztliche Personen, eine Person mit Befähigung zum Richteramt, ein*e Psychotherapeut*in und ein Laie angehören. Details zum Arbeitsablauf sollen die Bundesländer regeln.
Eine Frage stellt sich immer, wenn über Sterbehilfe diskutiert wird: Wie stellen die ärztlichen Personen von außen fest, dass der Patient tatsächlich freiverantwortlich handelt und nicht gerade eine instabile Psyche aufweist. “Hier kann man natürlich nicht von der Vermutung der Freiverantwortlichkeit ausgehen”, sagt Lindner. “Man muss ein Verfahren aufsetzen, mit dem die Freiverantwortlichkeit relativ sicher festgestellt werden kann”. Dem möchten die Rechtswissenschaftler*innen mit der unabhängigen Kommission gerecht werden. Wenn die Freiverantwortlichkeit des Suizidenten festgestellt werden soll, “hilft die psychologische Expertise [der in der Kommission sitzenden ärztlichen Personen und des*der Psychotherateut*in] weiter”, sagt Lindner.
Wird keine mangelnde Freiverantwortlichkeit festgestellt, dürfe dem Sterbewilligen sein Wunsch nicht versagt werden, sagt Gassner.
Sterben und Ethik
“Aus ethischer Sicht gibt es keinen Konflikt, das eigene Leben beenden zu wollen, um Leid zu mindern, Ressourcen zu sparen und anderen Platz zu machen”, sagen die Befürworter der Sterbehilfe. Es sollte jedem möglich sein, sein eigenes Leiden zu beenden und dabei das Recht auf körperliche Unversehrtheit in Anspruch zu nehmen. Ein humaner Tod solle jedem Menschen gewährleistet werden. Es müsse aber immer eine Aufklärung stattfinden. Die betroffene Person muss nachvollziehbare Gründe angeben können, wenn sie Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte, zum Beispiel wenn sie unter unerträglichen Schmerzen leidet und keine Chance auf Besserung oder Heilung besteht. In diesem Fall ist der Tod eine Erleichterung für die betroffene Person.
Es gilt jedoch, dass die betroffene Person die Sterbehilfe bei voller geistiger Gesundheit verlangt oder dies zuvor durch eine Patientenverfügung eindeutig festgelegt hat.
Stimmen gegen die Euthanasie berufen sich auf den Schutz des Lebens durch den Staat. Diese staatliche Schutzpflicht sei im Grundgesetz normiert. Außerdem fordern sie, dass sterbewillige Personen den Suizid selbst herbeiführen sollten. Diese Aufgabe sollten sie nicht an Außenstehende wie Ärzte übertragen. Es ist fraglich, wie Fälle gehandhabt werden sollen, in denen die Personen nicht mehr selbst entscheiden können und Angehörige die Entscheidung treffen.
Jung und Student*in: Was denken Augsburgs Studierende von Sterbehilfe?
Auch im Jurastudium ist das Thema Sterbehilfe höchst umstritten. Michelle studiert Jura an der Uni Augsburg. Sie teilt die Meinung von Valentin, der Medien und Kommunikation studiert, und Musikstudent Matthis: Jeder Mensch sollte sein Leben selbstbestimmt beenden können. Sie sagt: “Es gibt Situationen, in denen Sterbehilfe nötig ist, um Menschen zu helfen und ihre Würde nicht zu verletzen”.
Valentin und Matthis sind mit allen Sterbehilfearten einverstanden. “Letztendlich haben alle Methoden dasselbe Ergebnis. Das Wichtige daran ist, dass der Patient sein Einverständnis gegeben hat und, dass der Tod möglichst schnell und schmerzlos eintritt”, sagt Matthis. Jurastudentin Michelle lehnt die aktive Sterbehilfe ab: “Viele Ärzte haben schon ein Problem damit, dem Patienten Tabletten zu geben. Deswege denke ich, dass es wohl kaum einen Arzt gibt, der seinen Patienten direkt töten möchte. Beim assistierten Suizid muss der Patient die Tabletten ja selbst einnehmen.”
Selbst Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen ist keine leichte Entscheidung. In der entsprechenden Situation würden sich die drei Studierenden aber wahrscheinlich dafür entscheiden. “Aus meinem gesunden Wohlstandsbauch heraus sage ich ja”, sagt Valentin. “Ich habe mich schon oft in Extremsituationen befunden und gelernt, dass alles Nachdenken davor nichts bringt, weil die Härte der Realität sich emotional aufdrängt und einem erst dann bewusst macht, womit man es zu tun hat. Es ist unmöglich, das zu beurteilen, ohne mittendrin zu sein,” gibt er zu bedenken.
Entwicklung der Sterbehilfe
In welche Richtung sich das Sterbehilferecht in Deutschland entwickeln wird, ist durch das Bundesverfassungsgericht vorgegeben. Die genaue Ausgestaltung obliegt dem deutschen Gesetzgeber und ist noch ungewiss. Eins ist jedoch sicher: Die Meinungen zur Sterbehilfe werden so vielfältig bleiben wie die Menschen selbst.