foodsharing und Co. im Kampf gegen die systembedingte Lebensmittelverschwendung

Gegenüber zukünftigen Generationen werden wir unseren imperialen und oftmals unersättlichen Lebensstil rechtfertigen müssen. Doch auch den gegenwärtigen Mitmenschen sind wir Rechenschaft schuldig, beispielsweise hinsichtlich globalen Produktions- und Verteilungs(un)gerechtigkeit, ein Bereich, der seit Jahrzehnten zu stagnieren scheint. Immerhin werden Jahr für Jahr Millionen von Tonnen einwandfreier Lebensmittel entlang der gesamten Wertschöpfungs- und Verteilungskette vergeudet und weggeschmissen, während es anderenorts selbst am nötigsten mangelt. Während der Recherche spreche ich auch mit einer der Augsburger Initiator:innen von foodsharing, Elke Thiergärtner, über Food Waste und den lokalen Kampf gegen ein globalisiertes Problem.

Ernüchternde Faktenlage - Ermutigendes Engagement

78 Kilogramm Lebensmittel landen pro Kopf und Jahr in den deutschen Mülltonnen. Insgesamt beträgt die Gesamtmenge der deutschen Lebensmittelverschwendung ca. 11 Millionen Tonnen jährlich. 59% oder 6,5 Millionen Tonnen allein in den privaten Haushalten (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft). Zwar beziehen sich diese Erhebungen aus dem Jahr 2020 auf die sogenannte „Frischmasse“, wozu auch Nuss- und Obstschalen, Strünke, Blätter, Kaffeesatz und Knochen zählen. Nicht die gesamte Menge, der unter dem Begriff Lebensmittelverschwendung erfassten, weggeworfenen Lebensmittel wäre somit noch verzehrbar.  Wer jemals einen Blick in die Bio- oder Restmülltonne eines größeren Supermarktes geworfen hat, der ahnt jedoch, dass hier eine Schieflage im System selbst besteht. Zurecht ist das Thema der Lebensmittelverschwendung in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.

foodsharing in Augsburg

Elke Thiergärtner war fast von Anfang an Teil von foodsharing, einer Initiative, die sich gegen die Lebensmittelverschwendung in Deutschland, Österreich und der Schweiz einsetzt. Ihre Augen beginnen zu leuchten als sie über ihr Engagement bei foodsharing spricht. Die Augsburger Bezirksgruppe hat Elke mit ins Leben gerufen, heute engagieren sich hier im Bezirk 516 ehrenamtliche Foodsaver:innen. Essen konnte sie noch nie wegschmeißen, denn im Garten ihrer Eltern, die ihr eigenes Gemüse anbauen, hat sie erfahren und verinnerlicht, wie viel Arbeit in jedem einzelnen Lebensmittel steckt. foodsharing setzt vereinfacht gesagt an zwei der Problemfelder der Lebensmittelverschwendung an:

  • Die privaten Haushalte sollen über die Webseite von foodsharing Essenskörbe einstellen können, wenn man beispielsweise in den Urlaub fährt und noch zu viele leicht verderbliche Lebensmittel im Kühlschrank hat. Dann können andere Mitglieder die kostenlosen Angebote sehen und bei Bedarf abholen.
  • Die Unternehmen, meist Supermärkte und Bäckerrein, können Kooperationen mit foodsharing eingehen, um keine Waren (die entweder kurz vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums [MHD] stehen oder aussortiert werden, weil eine frische Lieferung gekommen ist) wegwerfen zu müssen.

10 Jahre foodsharing – wie geht´s weiter?

Ursprünglich war es das Ziel von foodsharing eine Plattform zu schaffen, auf der Privatleute ihre übriggebliebenen Lebensmittel in Essenskörben zum Verschenken anbieten können. Seit Gründung der Plattform vor 10 Jahren, haben sich über eine halbe Million Menschen registriert und eigenen Angaben nach ca. 84 Millionen Tonnen Lebensmittel gerettet. Die stark gewachsene Organisation hat zunehmend begonnen, am Hebel „Handel“ anzusetzen. Man geht auf die Betriebe zu, und organisiert Kooperationen. Ehrenamtliche von foodsharing kommen zu vereinbarten Terminen und holen Ware, die aus ästhetischen Gründen oder weil das MHD naht, aussortiert wird. Diese Lebensmittel konsumieren die Foodsaver:innen selbst, verteilen sie weiter an Bekannte oder bringen sie zu öffentlich-zugänglichen Abholstationen (sogenannte Fairteiler) bei denen Interessierte das Essen kostenfrei entgegennehmen können. Selbsterklärtes Ziel von foodsharing ist es übrigens, als Organisation überflüssig zu werden:

„Daher arbeiten die Engagierten bei foodsharing weiter daran, dass das notwendige Retten von Lebensmitteln irgendwann überflüssig sein wird.“ (foodsharing – Vision &  Mission)

Wie kann ich bei foodsharing mitmachen?

Grundsätzlich kann jeder Teil von foodsharing sein, einfach und niedrigschwellig ist beispielsweise das Lebensmittelspenden- und Abholen an einer der freizugänglichen Verteilstationen, den bereits erwähnten Fairteilern. Eine Übersicht über die aktuell betriebenen Stationen in Augsburg findest du hier. Dort kann jeder, der sich engagieren möchte, Lebensmittel hinbringen oder abholen. Du solltest nur keine selbst zubereiteten Speisen (Marmeladen, Brote, Kuchen etc.) hier abgeben, und natürlich auch nichts, was du selbst nicht mehr verzehren würdest. Bei Fairteilern, wie bei dem im Grand Hotel, in der Alten Gasse oder vor dem Sozialkaufhaus Contact gibt es aber Kühlschränke, sodass auch Milchprodukte, Obst und Gemüse hier verteilt werden können.

„Essenskörbe“ auf der Webseite nutzen oder selbst Foodsaver:in werden

Des Weiteren kannst du dich auf der Webseite registrieren, wo du selbst Essenskörbe anbieten und von anderen angebotene Körbe finden und kostenlos abholen kannst. Wenn du noch mehr tun möchtest, gibt es die Möglichkeit Foodsaver:in zu werden und selbst übriggebliebene Ware bei Betrieben abzuholen. Dafür musst du dir allerdings etwas Zeit nehmen, ein paar Grundlagen lernen und anschließend einen kleinen Wissenstest bestehen. Das hier erworbene Wissen soll dazu dienen, dass die Leute die Grundlagen von foodsharing verstehen und sich gegenüber den Betrieben, aber auch im Team entsprechend respektvoll und zuverlässig verhalten. Elke erzählt hierzu, dass Zuverlässigkeit bei den Abholungen für die Betriebe aber auch für die anderen Foodsaver:innen das wichtigste ist. Dafür bekommst du dann aber auch Lebensmittel geschenkt und kannst sie nach Belieben selbst verzehren, an Bekannte weitergeben. Da dieser Wissenstest aber für manche Menschen eine unangenehme Hürde darstellt, gibt es verschiedene Möglichkeiten, damit möglichst niemand ausgegrenzt wird. Es gibt zwei Varianten des Tests (eine mit 10 Fragen und einer Zeitbegrenzung und eine mit 20 Fragen ohne Zeitbegrenzung), sodass Menschen mit Prüfungsangst auch ganz entspannt die Lösungen zu den Fragen nachschlagen können, oder Nicht-Muttersprachler:innen Zeit haben, alles in Ruhe zu übersetzen.

Interessenskonflikt und Kritik in der Öffentlichkeit

Der große Erfolg und das Wachstum von foodsharing in den letzten Jahren wurde teilweise überschattet und infrage gestellt von kritischen Stimmen. Gerade in Zeiten, in denen die Auslastung der Tafeln höher und angespannter war, taten sich Mutmaßungen auf, man würde hier den Bedürftigen die Butter vom Brot nehmen. Dr. Kristine Görgen von der Tafel Deutschland e.V. erklärte in einer schriftlichen Stellungnahme, foodsharing und die Tafeln würden seit Jahren zusammenarbeiten und hätten gerade erst ihre Kooperationsvereinbarungen erneuert. Überdies hinaus halte foodsharing das vereinbarte „Tafel-First“ -Prinzip ein:

„Auf Grund der sozialen Mission der Tafeln, die Lebensmittel an Menschen weitergeben, die von Armut bedroht oder betroffen sind, haben Tafeln bei der Abholung von Waren Vorrang.“ (Dr. Kristine Görgen, Bereichsleitung Strategie und Grundsatzfragen der Tafel Deutschland e.V.)

Aufgrund der föderalen Strukturen beider Organisationen funktioniere das zwar in Einzelfällen manchmal nicht reibungslos. Der Vorwurf, es gäbe zwischen foodsharing und der Tafel einen grundsätzlichen Interessenskonflikt, wurde jedoch bereits in einem Artikel der taz weitgehend entkräftet****. Auch Elke berichtet mir von einem Einzelfall, in dem das vereinbarte Prinzip nicht ganz funktioniert habe. Der Normalfall sehe jedoch anders aus, foodsharing springt beispielsweise für die Tafel ein, wenn diese wie etwa während des ersten Corona-Lockdowns keine Abholungen mehr durchführen konnte. Als die Tafel ihren Betrieb wieder aufgenommen hat kontaktierte foodsharing die Betriebe und bot an, sich wieder zurückziehen. Viele Lebensmittel dürfen von den Tafeln aber auch gar nicht angenommen werden, da diese als Lebensmittelunternehmen strengeren Auflagen unterliegen.  

Höhlt der stete Tropfen den Stein?

Das Engagement von foodsharing ist wichtig und richtig! Nichtsdestotrotz verbleiben zwei grundsätzliche Feststellungen:

  • Lebensmittelverschwendung ist kein rein individuelles, sondern auch ein politisches Problem: die Politik in Deutschland verschläft es seit Jahren, Gebrauch von ihren instrumentellen Möglichkeiten der Steuerung zu machen. Es bedarf neuer Gesetze, die Unternehmen dazu verpflichten, nicht mehr verkaufbare aber noch verzehrbare Lebensmittel zu spenden. Frankreich ist hierfür ein gutes Beispiel.
  • Es vermindert sich mitunter der Druck für Unternehmen, selbst mehr gegen Lebensmittelverschwendung tun zu müssen (indem man besser kalkuliert), da am Ende ja ohnehin fast alles abgegeben werden kann.

Lösungen und Widerstände gegen die systemische Verschwendung und Überproduktion formieren sich seit Jahren, egal ob durch Containern, foodsharing, ob durch Apps wie ToGoodToGo oder Internetrezepte für Resteverwertung (hier findest du Rezepte für leckere “Resteessen”). Was fehlt ist ein politisches Umdenken und eine Veränderung der Mentalitäten, um den für uns selbstverständlich gewordenen „Konsumgütern“ wieder die Wertschätzung entgegenzubringen, die ihnen zusteht.  

Schreibe einen Kommentar