Who is the Oppressor?

Augsburg ist bunt, das zeigen wir euch in unserer Artikelreihe immer wieder. Augsburg ist  zugleich religiös vielfältig. Auch Frauen mit muslimischen Kopftuch gehören zum Augsburger Stadtbild. Und doch sind sie vielen Vorurteilen ausgesetzt, die von der langjährigen Debatte immer wieder befeuert werden.
Eine Auseinandersetzung.

Mariah Idrissi ⒸH&M

Als das Model Mariah Idrissi in einer Werbekampagne von H&M auftrat, wurde auch hierzulande so manchem klar, dass es muslimische Mode gibt beziehungsweise, dass bedeckte Musliminnen auch modisch sein können. Denn ja, Idrissi trägt Kopftuch, und das ziemlich stylisch mit Sonnenbrille und Nasenpiercing. Denn schließlich hat auch H&M verstanden, dass immer mehr junge muslimische Frauen sich modebewusst und bedeckt zeigen. Dabei sind die Styles so vielfältig wie seine Trägerinnen. Von „androgyn“ über „chic“ bis „experimentell“ (jetzt) kombinieren die Frauen ihre Kopfbedeckungen zu Baggyhosen und weiten Shirts, zu eleganten Kleidern oder im coolen, schwarzen Lack- Leder-Look. Wie groß das Interesse an bedeckter Mode ist, lässt der Instagram-Account des deutschen Onlineshops Hijabi erahnen; ihm folgen über 200 Tausend Follower:innen. Selbst die Wirtschafts- und Finanzzeitung Handelsblatt berichtet von einer Explosion des Marktes. Allerdings kommt der Autor nicht umhin, auch hier die Frage aufzuwerfen, ob man sich mit Angeboten wie dem Burkini  „einem traditionellen, gar frauenfeindlichen Islam“ ergibt oder den Frauen dabei hilft „mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln und sich nach und nach von den erdrückenden Kleidervorschriften der Radikalen zu befreien[.]“

Tatsächlich scheint das Stück Stoff zur Repression von Frauen benutzt zu werden. Doch von wem werden sie nun eigentlich unterdrückt?

Seit 20 Jahren wird in Deutschland über ein Für und Wider eines Kopftuchverbots diskutiert. Zuletzt im Sommer letzten Jahres, als wieder einmal ein Gerichtsurteil die Schlagzeilen machte. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass Unternehmen grundsätzlich ihren Angestellten das Kopftuch verbieten dürfen, jedoch mit der großen Einschränkung, dass die Beweislast geschäftlicher Nachteile beim Arbeitgeber liege, ebenso müssten in solch einem Fall alle religiösen Symbole verboten werden.

Begonnen hat die Debatte mit Fereshta Ludin. Der Lehrerin wurde in Baden-Württemberg eine Anstellung an einer Schule aufgrund ihres Hijabs verwehrt. Ludin weigerte sich, das Kopftuch abzulegen und klagte sich durch alle Instanzen. Das Bundesverfassungsgericht entschied 2003, dass es an gesetzlicher Grundlage mangele, der Lehrerin eine Anstellung zu verwehren, stellte gleichzeitig aber dem Gesetzgeber frei, eine solche Grundlage zu schaffen. Auf Länderebene wurden Gesetze eingeführt, die sich mit dem Thema Lehrerinnen mit Kopftuch beschäftigen. In den meisten Bundesländern hatte das ein Kopftuchverbot zur Folge. Seitdem gab es viele neue Gerichtsurteile und schließlich änderte auch das Bundesverfassungsgericht seine Haltung und widersprach einem grundsätzlichen Kopftuchverbot für Lehrer:innen.

In der Zwischenzeit ist das muslimische Kopftuch zur Projektionsfläche für Integrationsdebatten geworden. Die Frage danach, wer und was Deutsch ist und sein sollte, wurde immer wieder verhandelt. Rassistische Vorurteile beeinflussten dabei stets mehr oder weniger stark den Einwanderungsdiskurs.

Vorrangig wurde indessen eine (Stellvertreter)Debatte um das Kopftuch selbst geführt. Für das Verbot werden vor allem zwei Hauptargumente angebracht. Zum einen ist da das Argument des Neutralitätsprinzips: In einem säkularen Staat haben religiöse Symbole innerhalb staatlicher Institution keinen Platz. Allerdings gilt das in Ländern wie Bayern zum Beispiel nicht für christliche Symbole, da diese als Ausdruck der hiesigen Kultur gesehen werden. Zum anderen gibt es den Vorwurf, beim Hijab handele es sich um das Symbol der Unterdrückung von muslimischen Frauen durch muslimische Männer. Hier wird Muslimen Sexismus als kulturelle Eigenheit zugesprochen und die muslimische Frau zum hilflosen Opfer erklärt. Das wiederum geht Hand in Hand mit dem Bild des bedrohlichen, aggressiven Islams, vor dem es sich zu schützen gelte.

Das Kopftuch dient dabei gleichzeitig als Symbol für die viktimisierte Frau und den gewalttätigen Islamismus.
In der Debatte um das muslimische Kopftuch in Deutschland kommen zwei Diskurse zusammen, einerseits der Diskurs um Frauenrechte und andererseits der Einwanderungsdiskurs. Es ist schwer, zwischen rassistischer, islamophober und sexistischer Diskriminierung zu unterscheiden.

Auch wenn sich der Einwanderungsdiskurs nicht vom Frauendiskurs trennen lässt, ist es jedoch kein Zufall, dass gerade das Kopftuch und damit die Frau im Mittelpunkt der Debatten steht. Frauen, unabhängig ihrer Herkunft und Religionszugehörigkeit wurden und werden in unserer Gesellschaft als Projektionsflächen für männliche Machtfantasien benutzt; so auch die muslimische Frau und das nicht erst seit 20 Jahren.

Seit vielen Jahrhunderten existiert das Bild der exotischen, orientalischen Frau. Angeregt durch Märchen wie 1001 Nacht, Reiseberichten aus dem 19. Jahrhundert und westlichen Beschreibungen von Harems, verfestigte sich das Bild einer unterwürfigen, geheimnisvollen und willigen Frau des Orients.

Nun ist die reale Hijab-tragende Frau zwar verschleiert, im wörtlichen jedoch nicht im metaphorischen Sinne. Das Mystische und Unterwürfige ist weg, stattdessen ist die Frau aktiv und sichtbar. Zudem signalisiert das Kopftuch nicht nur die Zugehörigkeit zum Islam, sondern impliziert auch voreheliche Abstinenz der Trägerin. Damit entzieht sie sich der sexuellen Verfügbarkeit in der von der männlichen Perspektive geprägten, patriarchalen Gesellschaft. Durch den Mangel an Sexualisierbarkeit verliert sie einerseits an Wert, andererseits wird sie durch die fordernde Haltung bedrohlich. Denn die Frauen, um die es da geht, sind gebildet, erfolgreich und selbstbewusst. Und sie fordern ihren Platz in der Gesellschaft. Diskutiert wird in erster Linie über Lehrerinnen, aber auch Rechtsreferendarinnen und Erzieherinnen. Kaum vorstellbar, dass eine Frau, die sich durch das Jurastudium geschlagen hat, um Richterin zu werden, sich ein Kopftuch aufzwingen lässt.

Während also Hijab-tragende Frauen mit hohem Bildungsniveau im Zentrum der Debatte stehen, werden Betroffene aus der Unterschicht unsichtbar gemacht. Auch wenn Kopftuchträgerinnen zu Opfern stilisiert werden und die vermeintliche Unterdrückung der Frau immer und immer wieder diskutiert wird, handelt es sich bei den Frauen, über die gesprochen wird, nicht um Frauen aus der Unterschicht. Es wird nie darüber diskutiert, ob beispielsweise Reinigungskräfte oder Küchenangestellte in staatlichen Institutionen oder sonst wo einen Hijab tragen dürfen sollten oder nicht. Dabei ist anzunehmen, dass Frauen mit geringem Einkommen größere Schwierigkeiten haben könnten, sich gegen mögliche Gewalt und Zwänge zu wehren. Immerhin besteht (unabhängig von der Religion) für Frauen in prekären Lebensumständen ein höheres Risiko, in finanzielle Abhängigkeit von Männern zu geraten und es damit schwieriger zu haben, sich aus möglichen Zwängen zu befreien. Das zeigt, dass es nicht darum geht Frauen zu schützen, sondern sie zu kontrollieren.

Also wer ist nun der Unterdrücker?

Es ist die patriarchale Gesellschaft, für die gebildete, ehrgeizige und sexuell ‚nicht verfügbare‘ Frauen eine Bedrohung darstellen. Eine Gesellschaft, die immer noch Frauen diktieren will, wie sie sich zu kleiden haben.

Immer mehr Frauen mit Migrationshintergrund studieren, immer mehr junge Frauen mit Kopftuch sind sichtbar in den Hörsälen der Universitäten. Das ist eine neue Generation, eine Generation, die sich als Deutsch versteht und selbstbewusst modisch als Muslima präsentiert. Man kann nur dankbar sein für die neue feministische Perspektive, die einige von ihnen der Gesellschaft zeigen. Eine, die mehr Spielraum für Individualität bietet, als die der Siebziger-Jahre-Feministinnen á la Alice Schwarzer.

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